Indien 6

Unsere letzten Tage in Goa verbrachten wir noch einmal am Strand von Arambol. Der sonst so touristische Ort war von Tag zu Tag mehr ausgestorben, nur noch ein paar Skurrilitäten wie selbsternannte Propheten, Steinebeschwörern und lebende Comicfiguren mit Spielzeugpistolen schlichen noch durch die heißen Gassen. Unser Aufenthalt im Arambol wurde unweigerlich um zehn Tage verlängert. Denn unsere Route nach Hause musste von Tag zu Tag verworfen werden. Plan Nummer 1 war: wir verschiffen unseren Bus nach Dubai und fahren über die arabische Halbinsel nach Europa. Schiff und Flüge waren schon klar gemacht und halbwegs bezahlbar. Durch den Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien wurde allerdings die Grenze dicht gemacht und unsere Route war so nicht machbar. Also Plan Nummer 2: wir fahren wieder über Pakistan und Iran nach Hause. Just in diesem Moment lesen wir von Bin Ladens Tod (sein Versteck hatten wir 2010 unwissentlich nur um wenige Meter verfehlt) und bekommen durch andere Reisende mit, dass die Ausstellung der pakistanischen Visas in den nächsten Monaten eingestellt werden. Super-Notfallplan Nummer 3: wir fahren noch einmal nach Nepal und warten dort bis sich die Situation in Syrien oder in Pakistan beruhigt hat. Zwischenzeitlich schickten wir allerdings einen Visaantrag zur pakistanischen Botschaft nach Berlin, einfach auf gut Glück. Trotz dass wir in Asien lernten auf etwas länger zu warten, stieg für uns die Spannung täglich, bis die erlösende Nachricht kam: wir haben ein Pakistan Visum.

 

Wir packten sofort unsere sieben Sachen, füllten dank der günstigen Preise in Goa unsere Alkoholvorräte auf und machten uns auf dem Weg Richtung Norden. Vorbei an Mumbai, hoch in den Bundesstaat Radjasthan. Drei Tage dauert die Fahrt auf teils traumhaften Straßen bis wir die alte Festung von Kumbalgarh erreichen. Die im 15. Jahrhundert erbaute Festung erkundeten wir in den kühleren Morgenstunden, danach ging es weiter durch das ländliche Radjasthan, das sich vor allem durch die farbenfrohe Bekleidung der Einheimischen vom restlichen Indien absetzt. Frauen tragen handgefertigte Armreife aus Kamelknochen, knallbunte Saris und Nasenringe. Die Männer dagegen tragen stolz ihren bis zu 9 Meter langen Turban und stellen ihren oft gezwirbelten Bart zur Schau. Die Farbe des Turbans zeigt entweder die Zugehörigkeit zu einer Kaste oder gibt eine derzeitige Befindlichkeit wieder. So werden bei Feierlichkeiten mehrfarbige Turbane und bei Trauer weiße, schwarze oder braune Turbane getragen. Angeblich sollen Träger von orangefarbenen Turbanen Gefängniserfahrung haben. Wir konnten allerdings bei der großen Anzahl dieser Turbanträger kaum glauben, dass so viele schon einsaßen und outeten dies als Touristengag.

Weiter ging die Fahrt zum Jaintempel in Ranakpur. Zwischendurch hielten wir an einigen Stauseen und erfrischten uns bei mittlerweile 42 Grad. Die Einheimischen waren entsetzt:

 

Inder: Man kann da nicht schwimmen, das ist gefährlich.

Wir: Ja wieso?

Inder: Im See kann man nicht stehen.

Wir: Ja und?

Inder: Wenn man da rein geht wird man in die Tiefe gezogen.

Wir: Kannst Du schwimmen?

Inder: Nein, könnt ihr das denn etwa, im tiefen Wasser schwimmen?

 

In Ranakpur stellten wir erfreut fest, dass der Tempel kein Eintritt kostet, was recht unüblich in Indien ist. Das erstaunliche im Inneren des Tempels ist, dass sich keine der 1440 Säulen ähneln. Wir konnten es kaum glauben und suchten nach einem passenden Paar. Fehlanzeige, alles individuelle Handarbeit. Hut ab!

Am nächsten Tag machten wir uns auf Richtung Jaiselmer. Die Sandsteinstadt in der Wüste Thar kannten wir bereits von unserer letzten Reise. Schon damals waren wir schwer beeindruckt von so viel Sandstein und Flair. In Jaiselmer warteten bereits Kerstin & Rudi auf uns, die noch um ihr Pakistan-Visa kämpften. Zusammen erkundeten wir, vor allem in den Morgen- und Abendstunden die Stadt. An einem Abend lernten wir Helmut aus Österreich kennen. Er ist seit 13 Jahren bereits in der Stadt, kümmert sich um Waisenkinder, die Erhaltung der alten Sufilieder und fördert Schulen. Nebenbei betreibt er auch ein kleines Hotel mit vorwiegend österreichischen Speisen. Nach über einem Jahr gibt es für uns mal wieder Gulasch, Spätzle, Braten und Knödel. Helmut, der schon viel durch die Welt gekommen ist, erheitert uns mit seinen Geschichten und philosophischen Fragen.

Bei Helmut und seinen aufgenommenen Kindern hatten wir endlich einen guten Platz gefunden, um unsere Fahrräder abzuschnallen und zu spenden. Sogleich kamen die Kinder aus dem Viertel gelaufen und ließen die beiden Räder keine Minute mehr stehen.

Nach einigen Tagen in Jaiselmer hielten wir die Hitze nicht mehr aus und fuhren in den Norden nach Amritsar. Auf dem Weg dorthin schlugen wir unser Nachtlager am Fluss Beas im Punjab auf. Als wir gerade bei der abendlichen Kanisterdusche vorm Bus standen zog urplötzlich ein Sandsturm auf. So etwas hatten wir noch nie erlebt: innerhalb weniger Sekunden wurde es stockdunkel, man konnte kaum die Hand vor den Augen sehen. Schnell retteten wir uns in den Bus und warteten bis das Spektakel an uns vorbeigezogen war. Dann konnten wir endlich den Sand, der überall an uns klebte abspülen.

 

Am nächsten Tag erreichten wir Amritsar, unsere letzte Station vor Pakistan. Hier warteten wir auf unsere Pässe, die zu Hause noch bei der iranischen Botschaft lagen.

Amritsar wurde für uns das Sinnbild unserer Indienreise. Alles was uns in den letzten fünf Monaten geärgert und erfreut hat erlebten wir hier noch einmal. Da ist zum einen der unglaubliche Lärmpegel, der uns fast um den Verstand bringt. Ohne Ohropax gehen wir nicht mehr vor die Tür, ja sogar im Zimmer müssen wir sie tragen, da die Eisenbahnlinie direkt an unserem Zimmer vorbei führt. Das ständige Gehupe, Menschen die lauthals ihre Waren anpreisen (sobald ein Weißer vorbei läuft wird natürlich doppelt so laut geschrien) und Rikshaws, die uns vor die Füße fahren, weil sie dadurch erhoffen, dass wir in ihr Gefährt einsteigen, bringt uns zur Weißglut. Dann die ganzen gaffenden Menschen. Dass wir auffallen kennen wir ja aus anderen Ländern, aber nie wurden wir so unverfroren angestarrt. Menschen bleiben einen Meter vor uns stehen und begutachten uns von Kopf bis Fuß, sagen irgendetwas zu ihrem Nebenmann und lachen dann. Da reisen wir um die halbe Welt, um dann so bloß gestellt zu werden. Nein Danke. Auf der anderen Seite lernen wir auch nette und gebildete Inder kennen. Sie laden uns zu einem Chai ein und heißen uns in ihrem Land willkommen. Leider ist das Verhältnis von gaffenden zu netten Indern 1000:1.

Ob wir jemals wieder die Muße haben werden dieses Land zu bereisen bleibt fraglich. Jetzt geht es erst mal zurück nach Pakistan, auf das wir uns riesig freuen.

 

Kleine Indien-Statistik:

Reisetage: 147 (davon 67 bezahlte Übernachtungsplätze)

Gefahrene Kilometer: 13.725 km

Ausgaben: 10 € pro Person & Tag

Unfälle: im Nordosten fährt uns ein Motorrad auf unserer Spur entgegen, beim Ausweichen kommt der Fahrer zu Fall – Ergebnis: er steht auf und fährt ohne sich umzudrehen weiter; in Mizoram fahren wir nach mehrmaligen fehlgeschlagenen Versuchen im hohen Tempo rückwärts einen Abhang hoch, wir freuen uns gerade, dass der Braune es geschafft hat, fahren über die Straße hinaus fast in einen Graben rein – Ergebnis: der Bus hängt mit dem linken Hinterrad über dem Graben während er vorne rechts 80 cm hoch steht, wir verharren einige Minuten so, Janus mit beiden Füßen auf der Bremse, Ursel zur Beschwerung vorne rechts auf der Stoßstange, dank Hilfe zahlreicher Einheimischer die zufällig des Weges kamen und uns von hinten anschoben sind wir nur mit dem Schrecken davon gekommen; in Kolkata fährt uns ein Transporter in die Seite – Ergebnis: Kratzer & Delle;

Krankheiten: Durchfall, Durchfall, Durchfall.... (bei beiden), Fuß angeschlagen, Zehnagel ab (Ursel)

Busprobleme: ca. 20 Roststellen – Rost entfernt, zum Teil neue Bleche eingeschweißt und neu lackiert; Motoraufhängung verschlissen – erneuert; Auspuffaufhängung verschlissen und ca. 30 x notdürftig repariert – erneuert; Antenne kaputt – erneuert; Zahnriemen angerissen – erneuert; Spannrolle erneuert; Dichtung der Motorentlüftung angerissen – provisorisch abgedichtet & dann erneuert; Ansaugschlauch Turbo angerissen – provisorisch mit einer aufgeschnittenen Coladose abgedichtet; Kühlwassergeber durchgerostet – mit 2 Komponentenkit abgedichtet; Querstange des Aufstelldachs an den Schanieren durchgewetzt – geschweisst; hoher Ölverlust – Ursache noch unklar; Probleme beim Anspringen – Förderbeginn zurückgestellt; Kaltstartzug hing fest – großzügig mit WD40 an der Einspritzpumpe eingesprüht; nachgerüstet: Voltmeter für beide Batterien in der Küche angebracht; ca. 40mm neue Isolierung auf die Karrosserie von innen verklebt; Boden isoliert sowie neuen Bodenbelag verlegt; Innenraumverkleidung z.T. ausgetauscht und neu gestrichen;

Highlights: goldener Tempel von Amritsar; schönster Overlander-Stellplatz in Agonda; umhergrasende Nashörner am Kaziranga-Nationalpark; Wurzelbrücken und Abenteuerfeeling in Cherrapungee; bunt – bunter – ländliches Radjasthan;