17: Kirgisistan 2

20.07.2018

 

Nach zwei erholsamen Tagen am Issyk Kul mit Baden, Grillen und Lagerfeuer fahren wir zurück ins Städtchen Borskoon. Ab hier wollen wir eine Tour durch das zentrale Tian Shan Gebirge fahren. 270 Kilometer offroad. Noch wissen wir nicht, ob die Piste wirklich befahrbar ist. Wir wollen es einfach mal versuchen. Ausgestattet mit Diesel und Lebensmittel fahren wir talaufwärts Richtung Kumtor Goldmine – die siebtgrößte Goldmine der Welt. Wasser müssen wir diesmal nicht auffüllen, denn überall in Kirgisistan gibt es Flüsse und Bäche, wo man sein Trink- und Waschwasser her bekommt.

 

An einem Checkpoint müssen wir uns registrieren und dürfen dann passieren. Die Betreiber der Goldmine halten nicht nur die Straße in Schuss, sondern wollen außerdem genau wissen, wer hier durchfährt. Es geht steil bergauf und nach 30 Kilometern haben wir mit Silvester einen 3800 Meter hohen Pass erklommen. So hoch waren wir mit unserem Bus noch nie. Auf einem Hochplateau geht es zwischen zugefrorenen Seen und schneebedeckten 4000 und 5000er Bergen weiter. Wir biegen von der Hauptschotterpiste auf eine kleinere Piste ab. Die Landschaft ist großartig. Ständig halten wir, schießen Fotos und genießen die Ruhe. Kein Mensch und kein Auto mehr weit und breit.

 

Es ist Ende Juni, Tagestemperatur 12 Grad. Am Abend beginnt es zu schneien und wieder sitzen wir mit Tee vor der Standheizung und beobachten das Schneetreiben vom Bus aus. Am nächsten Morgen ist das Wetter bezaubernd. Blauer Himmel, ein paar Wölkchen. Wir fahren wohl das schönste bisher gesehene Tal hinunter. Dutzende Murmeltiere rennen über die grünen Wiesen und retten sich mit einem Sprung in ihren Bau. Überall freilaufende Herden von Pferden, Yaks, Schafen und Kühen.

 

Immer wieder stellen wir fest, dass hier die Natur noch wirkliche & unberührte Natur ist. Paradiesische Bedingungen für das Vieh, dass sich hier den ganzen Tag frei bewegen darf und frisches Futter in Form von blühenden Wiesen zu sich nehmen kann. Zwischendurch vereinzelt die Jurten der Nomaden, die weit weg von Zivilisation und Handyempfang im Einklang mit der Natur leben. Einfach und bescheiden. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Beneidenswert.

 

Nach 40 Kilometer sehen wir die ersten vereinzelten Jurten, mit winkenden Kirgisen. Das Vieh ist im Vergleich zum Mensch deutlich in der Überzahl. Das Gebirge ist extrem dünn besiedelt und wir hoffen hier nicht stecken zu bleiben. Wer sollte uns hier rausziehen können? Immer wieder müssen wir Flüsse durchqueren, die erfreulicherweise nie höher als 50 cm sind. Nur selten schalten wir unser Allrad dazu. Es soll nur an wirklich schwierigen Stellen zum Einsatz kommen. Zum Glück ist es trocken und nur ein paar Wiesen sind noch vom letzten Regen unter Wasser. Hier fahren wir mit aller Kraft durch und kommen immer wieder ohne stecken zu bleiben auf schmale, trockene Pisten. In etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit legen wir am zweiten Tag 80 Kilometer zurück. Am dritten Tag wird der Weg besser und wir können auch mal 50 km/h fahren. Die Region ist nun dichter besiedelt, das heißt alle 10 Kilometer steht eine Jurte. 

Am Nachmittag erreichen wir das Städtchen Naryn, das Ende der offroad Strecke. Im CBT Office, die kirgisische Touristeninformation, beantragen wir für uns und unseren Freund Fabian, der in ein paar Tagen wieder zu uns stoßen wird, ein sogenanntes „Border Permit“. Dieses wird benötigt, um sich im Grenzgebiet zu China aufhalten zu dürfen. Die unter Strom stehende Mitarbeiterin erzählt uns, dass in den nächsten beiden Tagen ein Festival in Naryn stattfindet. Da wir sowieso drei Tage auf die Ausstellung unseres Permits warten müssen, ist das doch ein schöner Zeitvertreib.

 

In Naryn wollen wir nach den wascharmen offroad-Tagen in ein Gästehaus einchecken, um zu duschen. Eine Praktikantin des CBT Office bringt uns ins Datka Guesthouse. Eigentlich nehmen sie derzeit wegen Renovierung keine Gäste. Da wir aber im Auto schlafen, können wir im Hof parken. Was uns vor allem hierher gezogen hat, ist die Aussicht ein kirgisisches Banja zu benutzen. Für zwei Stunden steht uns das Badehaus zur Verfügung, das aus einer kleinen Sauna, einem Duschraum, Umkleideraum und einen Salzraum besteht. Unsere erste Sauna nach über einem Jahr. Wir hatten vergessen wie gut das tut und schwitzen mit unseren kirgisischen Filzhüten auf den Holzbänken, duschen mehrmals und fühlen uns danach wie neu geboren.

Das Badehaus wird auch von Einheimischen gebucht und wir beobachten erfreut, dass zunächst eine Gruppe älterer Damen und später eine Gruppe junger Männer das Badehaus benutzt.

 

Am nächsten Tag checken wir wieder aus und fahren durch das Städtchen als wir zwei Radler in einem Cafe sehen, die uns zuwinken. Spontan gesellen wir uns zu den beiden. Luschka, aus Polen, und ihr Freund Herve, aus Andorra, reisen seit fünf Jahre durch die Welt. Mal mit Auto, mal mit Rucksack und jetzt halt mal mit dem Rad. Wir frühstücken gemeinsam, quatschen stundenlang und stellen fest, dass mittlerweile Mittagessenszeit ist. Unser Vorschlag zum Grillen etwas außerhalb von der Stadt zu fahren, finden die beiden großartig und schnell laden sie ihre Räder in ihrem Hostel ab und sitzen bei uns im Bus. Dank Luschkas Russischkenntnissen sind wir schnell im Besitz von Grillfleisch und finden an einem Fluß eine nette Grillwiese. Am frühen Abend laden wir die beiden wieder in ihrem Hostel ab und verabreden uns morgen auf dem Festivalgelände wieder zu treffen.

 

Da die Grillwiese nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt ist, fahren wir zurück und übernachten dort. Ein paar Häuser sind zwar in Sichtweite, aber die Einheimischen winken nur von weitem und lassen uns dann unsere Ruhe.

 

Am nächsten Morgen fahren wir zum örtlichen Stadion, wo das Shyrdak-Festival stattfindet. Seit die UNESCO den Shyrdak, den kirgisischen Filzteppich, 2012 in die Liste der "dringend erhaltenswürdigen immateriellen Kulturerbe" aufgenommen hat, wird das Festival einmal im Jahr ausgerichtet. Luschka & Herve können erst am Nachmittag kommen. So sind wir bis dahin die einzigen ausländischen Festivalbesucher. Das Festival beginnt mit einem Umzug, bei dem die Kirgisen aus der Region ihre traditionellen Kleider und Kopfbedeckungen tragen. Von der Tribüne winken und jubeln ihnen die Menschen zu. Anschließend wird das kirgisische Reiterspiel "Kok Boru" vorgeführt. Dabei wird ein aufgeblasener Ziegenhautbalg als Spielball benutzt, wobei sich die Teams gegenseitig versuchen diesen abzunehmen. Es geht heiß her und es wird kräftig zugelangt. Ein bisschen wie Rugby nur auf den Rücken der Pferde.

 

Auf dem gesamten Festivalgelände breiten die Frauen ihre Shyrdaks aus und am Ende der Feierlichkeiten wird der schönste Shyrdak prämiert. Außerdem gibt es ein Wettkampf im Jurten-Schnellaufbau und Adlerjäger präsentieren ihre Tiere. Wir sind froh hier gelandet zu sein und schießen Unmengen an Fotos. In den zahlreichen aufgebauten Jurten wird massenhaft Essen aufgefahren und jeder wird eingeladen dort kostenlos einen Snack einzunehmen. Ursel erfreut sich wieder an einer Schüssel Kumys – die vergorene Stutenmilch mit Umdrehungen, während Janus den schwarzen Tee vorzieht. Immer wieder werden wir fotografiert oder für das regionale Fernsehen interviewt. Die Einheimischen freuen sich, dass auch Ausländer hierher gefunden haben und möchten mit zwei Bleichgesichtern auf ihren Bildern zeigen, dass es sich lohnt hierher zu kommen. Und definitiv hat es sich gelohnt hier vorbei zu schauen !

 

Mittlerweile haben wir akzeptiert, dass eine mitgebrachte Jurte auf Silvesters Dach einfach zu viel des Guten wäre. Wir sind von der Schnapsidee abgekommen und erstehen lieber bei der riesigen Auswahl an Shyrdaks zwei schöne Exemplare für zu Hause. Einer der Teppiche hat genau die Größe unseres Bettes und wird nun jeden Abend über unsere Matratze gerollt. Ein bisschen Jurtenfeeling haben wir jetzt also jede Nacht.

 

Am Nachmittag treffen wir Luschka & Herve, schlendern noch einmal über das Festivalgelände, gehen gemeinsam essen und verabschieden uns dann von den beiden. Da sie die gleiche Reiserichtung wie wir haben, hoffen wir uns auf dem Pamir in einem Monat wieder zu treffen. 

Am darauffolgenden Tag ist es dann so weit. Ursel ist plötzlich 40. Kein junges Ding mehr. Vorbei die Zeiten mit jugendlichen Spinnereien. Zeit zum Erwachsen werden. Pustekuchen! Es geht so weiter wie immer. Mittlerweile Reise-Geburtstagsgeschenk-Tradition ist ein Glas Nutella, das es wirklich nur an Ursel Geburtstag im Ausland gibt. Außerdem beschenken wir uns zu unserem 20. Jahrestag mit einem Frisörbesuch. Bei Ursel höchste Zeit, nach 10 Monaten Wuschelkopp. Wir lassen uns also verwöhnen inklusive Haarwäsche und Kopfmassage und zahlen zum Schluss nur 4 Euro (Ursel) bzw. 2 Euro (Janus).

 

Am Nachmittag trifft dann nicht nur unser Border-Permit, sondern auch Fabian ein. Nach einem Geburtstagskuchen in einem Studentencafe fahren wir zurück zu unserer Wiese, wo wir mittlerweile jede Nacht zum Schlafen hin fahren. In unserer kleinen Wagenburg drehen wir nach ein paar Bier die Musik auf und tanzen bis zum Morgengrauen die Wiese platt. Mit drei Katern schleppen wir uns durch den nächsten Tag. Da unser Permit bereits läuft, wollen wir so schnell es geht in das Sperrgebiet fahren. Auf dem Markt decken wir uns noch einmal mit Lebensmitteln ein und fahren dann raus aus Naryn.

 

Nach 20 Kilometern biegen wir von einer super Asphaltstraße ab. Die nächsten Tage sind wir wieder offroad unterwegs. Erstes Etappenziel ist der nahe der chinesischen Grenze liegende See Kel Suu. 140 Kilometer über teils gute Schotterstraße bringen uns dem Ziel näher. Die Landschaft ist mal wieder traumhaft. Die geknipsten Fotos können das Panorama kaum wiedergeben. Man muss einfach hier gewesen sein und den Duft der Wiesen und die kühle Bergluft eingesogen und die herumrennenden Tiere erlebt haben. Wir fragen uns: kann uns jemals etwas mehr beeindrucken? Die Berge so unberührt, die Menschen so natürlich, die Pferde wild und doch scheu. Am Abend stellen wir dann mal wieder fest, was für einen tollen Schlafplatz wir haben. Ja wie jeden Abend. Ein tollerer Platz jagt den anderen.

 

Am zweiten Tag schlagen wir unser Nachtlager zehn Kilometer vom See entfernt auf. Das Bergpanorama ist zu schön und wir wollen es bei einem Bierchen genießen. Die Nacht ist sternenklar und kalt. Erst wenn man abseits von Städten, mitten im Nirgendwo, auf einer Höhe über 3000 Meter campiert, stellt man fest wie nah man den Sternen ist. Die Milchstraße zum Greifen nahe, die Sternenbilder deutlich erkennbar. Genial. So etwas gibt es einfach kaum noch in Europa und hier fast jeden Abend.

Am nächsten Morgen fahren wir weiter Richtung See. Wir haben Widersprüchliches über den weiteren Wegverlauf gehört: von „ja es ist zu packen“ bis „unmöglich“. Wir wollen uns selbst ein Bild machen und sind froh mit zwei Autos hier zu sein. Kaum fahren wir vom Schlafplatz weg, will Fabi mit seinem Bus Gertrude einem Schlagloch ausweichen und fährt auf eine Wiese. Schlechte Idee. Denn Getrude steckt nach ein paar Metern im Schlamm fest und kann sich nicht selbst befreien. Wir hängen die Seilwinde an Silvester, der zwar auf festem Boden steht, dieser jedoch beim Drüberfahren ziemlich nachgibt. Nach und nach kommt Gertrude frei. Und nachdem uns Fabi beim Anschieben am Issyk-Kul-Strand vor drei Wochen Anschubhilfe gegeben hat steht es nun zwischen Silvester und Gertrude 1:1.

 

Mit schlammigen Reifen geht es weiter. Durch einen braunen Fluß, über gute Schotterpiste bis zu einer schlammigen Wiese. Es beginnt zu graupeln. Janus und Fabi suchen nach einem Alternativweg. Es hilft nichts. Wir können nicht über die Wiese fahren. Wir sind noch fünf Kilometer vom See entfernt und entschließen uns den Fluß erneut zu queren und es auf der anderen Seite zu versuchen. Gertrude vor. Silvester hinterher. Ein Stück im Flußbett und dann fährt sich auch Silvester in einem Schlammfeld kurz fest. Rückwärts gelingt es Janus den Bus mit Karacho raus zu bugsieren. Mit Vollgas geht es dann auf das höher gelegte Ufer auf der anderen Seite. Die Busse fahren super und wir kommen ohne größere Schwierigkeiten bis einen Kilometer vor den See. Dann ist auf unserer Flußseite Endstation. Wir schlagen unser Lager hier auf und laufen nach einem Mittagessen zum See. Steil bergauf, über eine Art Damm. Als wir ankommen, können wir unseren Augen kaum trauen. Hier ist gar kein See. Kein Wasser. Nichts. Nur schlammiger Seeboden. Ein kirgisischer Reiter klärt Janus auf russisch auf, der dann für uns übersetzt. Seit einem Monat sei das Wasser weg. So etwas komme alle zehn Jahre mal vor. Wir müssen uns keine Sorgen machen. Der See kommt bestimmt wieder. Zunächst sind wir enttäuscht, finden es dann aber viel spannender über den schlammigen Boden zu laufen. Der See ist eigentlich zwischen steil abfallenden Felswänden eingebettet und kann nur mit dem Boot erkundet werden. Wir haben nun die Möglichkeit auch ohne Boot den ausgetrockneten See entlangzulaufen. Nach ein paar Kilometern schlägt das Wetter plötzlich um. Es wird eisigkalt und es fallen ein paar Schneeflocken. Schnell zurück zum Bus, wo wir erst mal einen Berg Spaghetti Bolognese kochen und uns in unseren warmen Bus verkriechen.

 

Den nächsten Tag staunen wir nicht schlecht als plötzlich zwei deutsche Reisende vor unserem Bus stehen. Miri & Gu (miriundgu.blogspot.de) haben wir vor drei Wochen schon mal kurz getroffen. Die Welt ist klein und bei einer Tasse Tee tauschen wir Reiseerfahrungen aus. Auch die beiden werden wir bestimmt bald auf dem Pamir wieder treffen. Wir vertrödeln den Tag bei den Bussen und machen uns am nächsten Tag wieder auf zurück zur Hauptpiste. Der Fluß hat dieses Mal weniger Wasser und die Rückfahrt ist deutlich entspannter und einfacher. Die Region hat neben einem Canyon mit glasklarem Wasser und einigen Yakherden auch noch einen See an der chinesischen Grenze auf 3500 Meter zu bieten. Dort wollen wir die nächste Nacht verbringen. Dass wir ziemlich nah an der kirgisisch-chinesischen Grenze entlang fahren, wussten wir ja. Sind aber dennoch überrascht, als wir kilometerlang am Grenzzaun entlang fahren. Schon komisch, dass da drüben China ist und wir in ein paar Wochen mit einer überteuerten Tour durch das Reich der Mitte fahren werden. Hier in Kirgisistan sind wir frei. Können überall stehen und keiner überwacht uns. Herrlich! Und definitiv ist Kirgisistan ein Highlight unserer Reise.

 

Der See ist nicht so schön wie erwartet. Das Ufer sumpfig, viele Moskitos und die Temperaturen am Gefrierpunkt. Jedoch entschädigen die zahlreichen Schneeriesen um den See herum. Tolles Panorama. Mal wieder. 

Unsere letzte Station in der „restricted area“ ist die alte Karawanserei Tash Rabat. Zwischen saftig grünen Wiesen gelegen, einige Kilometer von der Hauptstraße entfernt liegt dort, das alte Steingebäude aus dem 15. Jahrhundert. Wir besichtigen die Karawanserei, die als eine der wichtigsten Bauwerke in Zentralasien gilt. Für uns Europäer nichts Besonderes. In Anbetracht, dass die Kirgisen jedoch in Lehmhäusern oder Jurten leben, ist ein Steingebäude dieser Dimension etwas ganz Herausragendes. Daher kommen neben vielen westlichen Touristen auch viele Einheimische vorbei, besichtigen die Karawanserei, picknicken und gehen spazieren.

 

Am Abend kehren wir in eine Jurte zum Abendessen ein. Recht touristisch mit Sitzbänken und Tischen bekommen wir Borschtsch (Suppe aus rote Beete und Kohl), Plov und Kartoffelsalat serviert. Anschließend laden uns die Frauen des „Hauses“ ein mit anderen Touristen ein paar „kyrgyz games“ zu spielen. Im gebrochenen englisch erklärt sie die Spiele und wir stellen mal wieder fest, dass wir doch gar nicht so unterschiedlich sind. Denn die Spielen kennen wir auch aus Deutschland: der Fuchs geht um – blinde Kuh – Fangen in zwei Teams. Da fragt man sich nur, wer es zuerst erfunden hat. Egal. Auf 3000 Meter Höhe kommen wir schnell aus der Puste und sind froh uns dann in unser warmes Bett zurückzuziehen.

 

Auf super Asphaltstraße, die von den Chinesen gebaut wurde, kommen wir zunächst zügig voran – wieder in Richtung Naryn. Wir genießen gerade das schüttelfreie Fahren als wir in eine Polizeikontrolle geraten. Fabian wird weiter gewunken, wir aber sollen anhalten. Die Polizei, Dein Freund und Helfer, ist in Zentralasien deutlich unterbezahlt und steht im Ruf sich durch aufgebrummte, horrende Strafen sich etwas dazu zu verdienen. Da wir langsam gefahren und beide angeschnallt sind, ist uns schnell klar, dass die Beamten etwas an unserem Licht auszusetzen haben könnten. In Kirgisistan herrscht Lichtpflicht. Und tatsächlich dürfen wir nicht mit Standlicht fahren, sondern sollen das „richtige“ und „helle“ Licht verwenden. Ein Beamter kontrolliert Janus´ Führerschein und die Fahrzeugpapiere unseres seit sechs Monaten abgemeldeten Autos, was hier natürlich keinem auffällt und wenn doch keinen interessiert. Ein zweiter Beamter, der die ganze Zeit im Polizeiauto sitzen bleibt holt irgendeinen Strafenkatalog hervor und sagt die ganze Zeit etwas von „Straf“. Wir verhandeln, wollen auf keinen Fall zahlen. Als auch ein kirgisisches Auto, bei dem ein Scheinwerfer ganz defekt ist, angehalten und dann ohne Strafe weiter fahren darf, reicht es Ursel. Die beiden Beamten werden in englisch angeschnauzt: wir sind doch Touristen, ihr stehlt uns unsere Zeit, Kirgisen dürfen weiterfahren, aber Ausländer müssen zahlen... Ursel setzt sich zurück auf den Beifahrersitz und knallt die Tür zu. Und wartet ab, ob der Plan aufgeht. Und tatsächlich. Keine Minute später sitzt Janus mit den Papieren wieder im Bus und grinst. Wir dürfen ohne „Straf“ weiter fahren.

 

Zurück in Naryn verbringen wir eine letzte Nacht mit Fabian am Fluss, bevor sich unsere Wege für ein paar Tage wieder trennen. Über eine Schotterpiste geht es mal wieder offroad weiter. Wir fahren zurück nach Osh. Für die 470 Kilometer lange Strecke lassen wir uns mal wieder länger Zeit. Wir halten hier und da, quatschen mit französischen Radlern, einer polnischen Offroadgruppe, nehmen eine kigisische Anhalterin mit, schlecken ein Eis vorm Dorfladen, hängen die Füße in den kühlen Fluß und und und.... mit jedem Kilometer den wir Osh näher kommen steigen die Temperaturen. Waren wir vor einer Woche noch in langen Unterhosen unterwegs, sitzen wir jetzt mit kurzer Hose da und schwitzen. Kirgisistan ist extrem. Extrem kalt, extrem warm und extrem schön.

Kurz vor Osh holt uns Fabi, der einen Abstecher zum Song Kul unternommen hat, wieder ein. Wir fahren in einer Bullenhitze gemeinsam nach Osh. Auf dem Weg dorthin kamen uns in nur fünf Tagen so viele andere Überlandreisende entgegen, dass es fast nichts mehr besonderes ist andere Overlander zu treffen. Wir zählen zehn Fahrzeuge mit europäischem Kennzeichen, ungefähr 25 Motorradreisende und sieben Radler. Das ist eindeutig zu viel für uns. Schnell runter von den Touripfaden... Aber auch im Hostel in Osh, wo wir für ein paar Tage stehen, treffen wir auf einen Haufen Radler. Das Apple Guesthouse ist erst seit kurzem eröffnet, aber trotzdem hat es sich irgendwie schon rum gesprochen, dass dies hier "the place to be" für Überlandreisende ist. Den halben Tag / Nacht sitzen wir mit Reisenden aus Israel, Polen, England, Irland, Frankreich und der Schweiz zusammen. Ein bunter Haufen aus total unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich im normalen Leben kaum unterhalten würde. Und oft sind wir überrascht, wie interessant und spannend gerade diese vermeintlich uninteressanten Menschen sind. 

 

Während unserer Zeit in Osh erreicht uns dann noch eine beruhigende Nachricht: unser Chinavisum, das wir vor drei Wochen über eine Agentur in Frankfurt in die Wege haben leiten lassen, ist ohne Probleme zu Hause in Römerberg eingetroffen. Wir sind visatechnisch nun also für die nächsten vier Reiseländer gewappnet. Vielen lieben Dank an der Stelle mal an unsere Home-Supporter Maja (Visaanträge), Jones (Geldüberweisungen) und David (die Post). Ohne euch könnten wir nicht so sorgenfrei rumreisen. Danke, dass auf euch Verlass ist.

 

In Osh kümmern wir uns außerdem um die Beantragung eines Anschluss-Carnets. Sozusagen der Pass für Silvester. Ab China brauchen wir wieder das internationale Zolldokument, um Silvester zollfrei über die Grenze nehmen zu können. Zum Schluß bereiten wir uns für die kommenden Wochen auf dem Pamir Highway vor. Da es dort in den Dorfläden mit Lebensmitteln nicht so rosig aussehen soll, stopfen wir jedes noch so kleine Fach mit Milch, Nudeln, Reis, Haferflocken und Konserven voll. Nachdem unsere Busse nach ein paar kleinen Reparaturen (für die Fachkenner unter den Lesern: bei Gertrude wurde eine Achsmanschette ausgetauscht; bei Silvester die Lagerbuchsen vom Drehstab auf beiden Seiten erneuert) wieder fit gemacht wurden, geht es endlich raus aus dem heißen Osh. Wir freuen uns auf höhere und vor allem kühlere Lagen. 

Auf unserer Fahrt zum Base Camp des Peak Lenin nehmen wir spontan Backpacker Kevin aus der Schweiz sowie die drei Radler Khanani, Ariel und Abischay aus Israel mit, die wir im Apple Hostel in Osh kennen gelernt hatten. Die Räder werden auf den Bussen verzurrt, das Gepäck in den Innenraum gelagert und los geht's - bergauf - mit deutlich mehr Gewicht. Wir legen einen nächtlichen Zwischenstopp auf einer Wiese ein und fahren am nächsten Morgen den 3600 m hohen Taldyk Pass hoch. Dabei überholen wir zwei Radler - es sind Luschka & Herve. Wie schön sie wieder zu sehen. Wird wohl in den nächsten Wochen noch häufiger vorkommen...


Kurz vorm Basecamp lassen wir dann die Räder wieder ab und verabschieden uns von den drei Israelis. Ursel probiert in einer Jurte noch schnell vom frischen Ayran, der hier wie Joghurt schmeckt. Lecker. Wie alle kirgisische Milchprodukte haben sie hier einfach noch einen natürlichen Kuhgeschmack. Nur die Bezeichnungen sind verwirrend: Ayran ist Joghurt, Joghurt ist ein Frucht-Drink, Kefir ist Buttermilch, nur Milch ist Milch. Verwirrend. Wir haben über einen Monat gebraucht, um da durchzublicken. Wir dachten oft, dass wir es besser als die Verkäufer wissen. Pfeifendeckel.


Auf 3760 m richten wir unser Lager am Base Camp ein, das auch Onion Field genannt wird, da überall eine Art  Lauchzwiebel wächst. Die Sicht von hier ist genial. Von einer Klippe schaut man auf ein Flußbett mit Gletscher, gefolgt von einer weißen Schneewand. Da dies aber nur der Peak Petrowskij ist, planen wir am nächsten Tag eine Wanderung zum Travelers Pass, von wo aus man einen Blick auf dem Peak Lenin werfen kann.


Die Nacht wird unruhig. Wir wälzen uns hin und her. Janus und Fabi benutzen eine Art Schnappatmung, um sich mehr Sauerstoff zuzuführen. Wir sind alle vier ziemlich fertig als wir beim Frühstück sitzen. Aber trotzdem. Der Wettergott spielt mit und wir starten zerknittert, aber optimistisch bei Sonnenschein. Es geht steil bergauf. Die dünne Luft ist deutlich spürbar. Und die Partynächte von Osh ebenso. Wir benötigen mehr Pausen als sonst und erreichen nach nur 2,5 Kilometer, die sich wie 7 Kilometer anfühlen, den 4100 m hohen Travelers Pass. Die Aussicht ist einfach nur atemberaubend. Da liegt er also vor uns. Der 7100 m hohe Peak Lenin, der eigentlich schon seit 2004 offiziell einen anderen Namen trägt. Aber keinen juckts - alle nennen ihn weiterhin Peak Lenin.
Wir laufen auf einen weiteren Pass (4260 m) und sind begeistert. Die Sicht wirft einen einfach um. Über eine Stunde sitzen wir in der prallen Sonne und genießen das einzigartige Panorama. Hier muss man her kommen, wenn man durch Kirgisistan reist.
Zurück bei den Bussen sind wir fix & alle. Können keinen unnötigen Meter mehr laufen und fallen todmüde bereits um halb zehn ins Bett.


Am nächsten Morgen geht es zurück ins Dorf Sary Tash. Dort verabschieden wir Kevin, der zurück nach Osh fährt und decken uns ein letztes Mal mit Diesel und Früchten ein. Wir sind bereit für die 40 km entfernte Grenze und schleichen wehmütig los. Normalerweise freuen wir uns immer auf das nächste Land und fahren zielstrebig zur Grenze. Diesmal ist es anders. Kirgisistan hat uns mächtig beeindruckt. Eines der schönsten Länder, das wir je erleben durften. Wir fragen uns: was kann das noch toppen? Der Pamir? Wir sind gespannt...