29: Pakistan 5

24.03.2019

 

Zurück in Islamabad machen wir uns nach einem Tag Erholung auf zur iranischen Botschaft. Fünf Wochen haben wir jetzt auf die Ausstellung eines Visa gewartet. Wir wollen jetzt Klarheit und sprechen am kleinen Fensterchen vor. Die Angestellten wollen uns mal wieder vertrösten: „wir haben noch kein OK aus Teheran“. Nach 45-minütiger Diskussion wird uns hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt, dass wir leider vergeblich hier sind. Wir werden hier wohl nie eine positive Antwort bekommen. Am besten wir fahren ins 350 Kilometer entfernte Lahore. Dort würden wir unser Visa ohne Probleme bekommen. Wir ärgern uns. Fünf Wochen Warten für nichts und dann noch 100 Euro einbezahlt, die wir nie wieder sehen werden.

 

Wir bleiben das Wochenende noch in Islamabad und verbringen eine letzte gemeinsame Zeit mit unseren lieb gewonnen Freunden. Es ist Freitag in Islamabad. Die Geschäfte gläubiger Muslime haben heute geschlossen. So auch der Laden von Moqeem. Nach dem Freitagsgebet sind wir zu ihm nach Hause eingeladen. Lange haben wir auf diese Einladung gewartet und freuen uns nun, endlich zu sehen, wie er mit seiner Frau, den fünf Kindern, der Schwiegertochter, dem fast 3-jährigen Enkel sowie seinen Eltern lebt. Ein typisches pakistanisches Mehrgenerationenhaus. Im Vergleich zu einem deutschen Haus fällt auf, dass die Grundstücksgröße fast vollkommen mit dem Haus bebaut ist. Kaum Platz für einen Hof oder einen Garten. Das Haus und die Zimmer sind groß und westlich eingerichtet. Wir sitzen nicht wie bei Saif auf dem Boden, sondern auf bequemen Sofas oder auf Stühlen. Es gibt kein Gäste-WC wie bei uns, sondern man benutzt eines der zahlreichen Bäder, die an jedes Schlafzimmer angeschlossen sind.

 

Besonders gut gefällt uns, dass alle Kinder anwesend sind und sich extra Zeit für uns genommen haben. Und dennoch kommen wir im Alltag an, beobachten Sohn Hamza an seinem Motorrad schrauben, Moqeem wie er das Befüllen seines Wassertanks überwacht und Shakeel beim Spielen mit seinem Sohn. Moqeems Frau sowie die Töchter Misbah und Mufliha bereiten das Essen in der voll ausgestatteten Küche zu. Hier sehen wir unseren ersten Backofen in Pakistan.

 

Das gemeinsame Mittagessen ist eines der besten Essen, die wir in Pakistan genossen haben. Neben Fisch, Hühnchen, Berglinsen, Reis, frischem Fladenbrot gibt es auch noch den heimlichen Favorit von Ursel: Schafshirnmasala. Man darf einfach nicht an eine glibbrige Gehirnmasse denken, sondern muss sich einfach auf den Geschmack einlassen. Mit Fladenbrot ein Traum.

Sohn Ahsan backt leidenschaftlich gern und so bekommen wir zum Nachtisch einen richtigen Kuchen. Wir sind beeindruckt.

 

Nach dem Essen besuchen wir Moqeems Eltern im Nachbarhaus. Stereobildfotograf Hanif hat international Preise dafür eingeheimst und Ursel 2011 in das Handwerk eingeführt. Hanif ist weit über 80 und bettlägrig, aber absolut fit im Kopf. Wir schauen uns gemeinsam einige Stereobilder an, fachsimpeln und verabschieden uns nach zwei Stunden wieder. Aufgrund seines Gesundheitszustandes fällt es innerlich total schwer uns von ihm zu verabschieden. Ein Abschied für immer.

 

Wir verbringen noch einige Stunden in der Familie bevor wir uns dann von fast allen verabschieden. Immer wieder betonen wir, dass sie uns doch in Deutschland besuchen sollen. Gerne würden wir uns für diese tolle Gastfreundschaft revanchieren.

Nasir, bei dem wir unseren Bus für zwei Wochen sicher geparkt hatten, hilft uns am kommenden Tag bei der Beschaffung einiger Ersatzteile für unseren Iveco auf einem Schrottplatz. Die Teile sind im Vergleich zu Deutschland extrem billig und wir laden ein was geht. Zurück in seinem Haus dürfen wir nicht nur duschen, sondern auch einen riesigen Wäscheberg seiner Haushälterin in die Hand drücken. Wenn man monatelang nur mit der Hand gewaschen hat, freut man sich über so ein Angebot wie über einen Lottogewinn.

 

Auch von Ali, mit dem wir letztes Jahr viel Zeit verbracht haben, schaffen wir es nochmal uns zum Abendessen und Tee zu treffen. Er hat in unserer Abwesenheit geheiratet und kommt schon bald auf Hochzeitsreise nach Europa. Auch ihn laden wir herzlich ein. Was gibt es für einen schöneren Ort für eine unvergessliche Hochzeitsreise wie Heidelberg und die Pfalz?

 

Ein letztes Mal geht es nach Rawalpindi. Dort decken wir uns noch mit ein paar letzten Ersatzteile ein bevor wir Lebewohl zu Moqeem und Hamza sagen. Allah Hafiz & Shukriya für eure tolle Freundschaft !

 

Weiter geht es für uns nach Lahore. Janus der seit ein paar Tagen angeschlagen ist liegt während der Fahrt hinten im Bett. Die Nacht verbringen wir auf einem öffentlichen Parkplatz bevor wir am nächsten Tag zum iranischen Konsulat fahren. Es ist Janus' Geburtstag, aber aufgrund von einer fiebrigen Erkältung ist uns nicht nach Feiern zu Mute. Das Konsulat empfängt uns gewohnt höflich und wir warten nach Abgabe unseres Visaantrags und Einbezahlen der Gebühr in einem separaten Wartebereich. Nicht auf schiefen Plastikstühlen, nein, auf edlen Polsterstühlen. Kurze Zeit später bekommen wir einen Tee serviert – na das ist mal ein Service. Keine Stunde später werden wir aufgerufen und bekommen unser 30-Tage Touristenvisum überreicht.

Endlich !!! 

 

Jetzt heißt es Vollgas. Wir wollen so schnell es geht nach Hause. Denn Ursel muss ab Mai wieder arbeiten. Und ein wenig Zeit zum Akklimatisieren braucht man nach so einer langen Reisezeit definitiv.

 

Janus legt sich hinten wieder schlafen, während Ursel im „indian style“ zügig zwischen den Autos und LKWs hindurch kommt. Nach 400 Kilometer machen wir einen Stopp bei McDonalds. Wir sind gerade ausgestiegen als wir von Harris und seinen Freunden angesprochen werden. Sie sind neugierig auf unsere Reisegeschichte und laden uns spontan zu einem Burger ein. Harris fährt neben seinem BMW-Motorrad auch einen Käfer und restauriert einen VW T2. Deutsche Fahrzeuge haben es ihm angetan. Und zufällig ist er ein Freund von unserem Freund Nasir aus Islamabad. Die Welt ist ein Dorf.

 

Wir fahren noch einige Kilometer weiter und biegen vom Highway ab, um einen Schlafplatz zu finden. Einem schmalen Feldweg folgend kommen wir bei ein paar Lehmhäusern raus. Wir wollen gerade wieder wenden, um einen ruhigeren Platz zu suchen, als uns Ali auf englisch anspricht. Wir können gerne auf seinem Feld parken und zum Frühstück morgen früh sind wir auch eingeladen. Ali und sein Onkel betreiben ein Farmhaus mit Kühen, Ziegen, einem Strauß, Affen, Gänsen, Pferden, Eseln und und und. Wir werden über das Anwesen geführt und sogar in den Frauenbereich. Sie sind überhaupt nicht schüchtern und wir bekommen einen Liter Milch direkt vom Euter in unseren leeren Tetra-Pack abgezapft. Frischer geht’s nicht.

 

Das Frühstück am nächsten Morgen besteht aus selbstgemachter Butter, Joghurt, Honig, öliges Brot (Paratha) und Milchtee. Einfach, aber lecker. Nachdem wir mal wieder einen Berg Gastgeschenke annehmen müssen fahren wir zügig weiter. 

Am späten Nachmittag kommen wir an der Bundesstaatsgrenze zwischen Sindh und Belutschistan an. Ab hier erhalten wir wie bereits 2010 und 2011 eine Polizeieskorte. Sie wird uns bis zur 1000 Kilometer entfernten Grenze begleiten. Wobei sich die Eskorten an den Gebietsgrenzen ablösen. Wir fahren gerade einmal fünf Kilometer bis wir an einem größeren Check Point ankommen. Unser Pässe werden überprüft und sofort wird lauthals verkündet: euer Visa ist ungültig, ihr seid illegal im Land. Wir schlucken. Illegal, das heißt Haft. Oh nein, bloß das nicht. Wir verstehen ja selbst unser komisches Visa aus Islamabad nicht und dennoch beharren wir darauf, dass wir legal hier sind. Sie sollen dies bitte mit dem Innenministerium abklären. 

 

Während die Beamten unseren Fall überprüfen, vergeht wertvolle Zeit, die Sonne geht unter und wir machen uns unweit der Straße unter Protest der uns bewachenden Soldaten zum Campieren bereit. Zwei Stunden später ist die Welt wieder in Ordnung: unser Visa wird für gültig erklärt und wir sollen weiter fahren. Ohne uns – in der Dunkelheit fahren wir nicht. Zu viele unbeleuchtete Fahrzeuge, Fußgänger und Kutschen mit Eseln sind auch im Dunkeln unterwegs. Zu gefährlich. Die Soldaten geben kleinbei und wir verabreden uns für morgen früh, dass wir um 8 Uhr weiter fahren wollen.

 

Nächster Morgen, 8 Uhr. Wir sind startklar, aber weit und breit keine Eskorte. Wir warten noch ein Weilchen und düsen dann unter wilden Winken & Rufen der Soldaten einfach so los. Nach einigen Kilometern kommt uns eine Eskorte entgegen, wendet und fährt uns dann voraus. Da sie nur 40 km/h fahren überholen wir sie kurzerhand. In dem Tempo kommen wir nie in der von uns eingeplanten Zeit an der Grenze an. Kaum düsen wir mit 90 km/h davon, holen sie auf. Na also – geht doch. So wird das dann die nächsten drei Tage gehen.

Schleichen – überholen – davon düsen – einholen – weiter düsen.

 

Um 14 Uhr kommen wir in der Millionenstadt Quetta an. Bombblastings, Targetkillings und Kippnapping gehören hier leider zum Alltag und daher fragen wir uns warum gerade hier die Eskorte alle 2 Kilometer wechselt und wir dann auf belebten Straßen minutenlang schutzlos ausgesetzt sind. So gefährlich kann es ja dann doch nicht sein. Wir werden weiter zum Home Department gebracht. Um in der Region Balutschistan überhaupt als Tourist unterwegs sein zu dürfen braucht man eine Genehmigung. Und diese besorgen wir uns nun hier innerhalb einer Stunde. Wir werden weiter zur Polizeistation gebracht. Besser gesagt ein Polizeiviertel. Hier dürfen wir neben einem vermüllten Feld campieren. Leider gibt es keine Toiletten und so kommt mal wieder unser Kanisterklo zum Einsatz. Dabei wird eine Mülltüte über einen aufgeschnittener 5 Liter Wasserkanister gestülpt und fertig ist das Reiseklo. Ist das Pipi in der Tüte, kommt ein Knoten rein, Fenster auf und im hohen Bogen wird diese auf das sowieso bereits vermüllte Gelände geschleudert.

 

Wir sind den ganzen Tag unterwegs gewesen, hatten nur eine Handvoll Kekse zum Frühstück und fragen nun, ob wir, bevor die Sonne untergeht und wir wieder zurück im Bus sein müssen in die Stadt zum Essen dürfen. Ein höherer Offizier gibt uns das OK. Eine Eskorte soll uns in die Stadt bringen. Klingt ja einfach – ist es aber nicht. Denn von den ca. 100 herumstehenden Polizisten will keiner für uns zuständig sein. OK – dann halt nicht, dann laufen wir halt die wenigen Meter zum einem Restaurant. Wir sind keine 200 Meter gelaufen als uns dann doch eine Eskorte aufgabelt. In der belebten Innenstadt klappern wir ein paar Restaurants ab und bestellen dann. Es soll unser letztes pakistanisches Essen sein und wir freuen uns nochmal ordentlich bei einem Lammcurry zuzulangen. Daraus wird leider nichts. Wir dürfen nämlich im Restaurant nicht essen. Zu riskant für die Soldaten und den Restaurantbesitzer. Wir sind kurz vorm Durchdrehen. Wir haben doch das OK von dem hohen Offizier und jetzt sollen wir aus einer Pappschachtel im Bus essen? Dann hätten wir gleich online eine Pizza bestellen können (ja so up to date sind sie dann doch in Pakistan). Während wir auf der Straße vorm Restaurant diskutieren versammeln sich immer mehr Menschen um uns. Das wird uns jetzt alles zu viel. Wir ziehen die Reißleine. Bestellung canceln, zurück ins Polizeiviertel. Im Bus kochen wir uns etwas aus Resten und gehen unzufrieden früh zu Bett. 

Nächster Morgen. Wir bestellen eine Eskorte. Wir sollen 30 Minuten warten. Nach Ablauf der Zeit tut sich nichts. Wir fragen nochmal nach. Wir sollen nochmal 30 Minuten warten und dann erst mit dem Chef sprechen. Was soll das denn? Wir sind in der angeblich gefährlichsten Stadt in ganz Pakistan und wir dürfen nicht weiter. Wir ignorieren die Soldaten, umfahren die Absperrungen und geben Vollgas. Und diesmal folgt uns keiner. Stattdessen entdecken wir nach ein paar Hundert Metern einen Pickup mit schwer bewaffneten Soldaten, an dessen Stoßstange wir uns hängen. So gewinnt man als Außenstehender den Eindruck, dass wir ja eine Eskorte haben und alles gut ist. Polizisten an Kreuzungen winken uns sofort weiter und auch am Straßenrand stehende Soldaten nehmen kaum Notiz von uns. Der Pickup hat zufällig den gleichen Weg wie wir. Nach fünf Kilometern signalisieren uns die Soldaten auf der Pritsche, was das soll. Wir zeigen einen „Daumen hoch“ und weiter geht’s. Nach weiteren fünf Kilometern biegen wir ab und kaufen noch schnell Lebensmittel für den heutigen Tag ein. Kaum fertig eingekauft steht unsere Eskorte neben uns. Perfekt. Weiter geht’s.

 

Der Eskortenwechsel klappt heute besser und so kommen wir am Nachmittag in Dalbandin an. Dort campieren wir auf dem Hof eines Hotels, dürfen in einem Zimmer die Dusche benutzen und gehen früh schlafen. Die Eskorte für den nächsten Tag bestellen wir diesmal für 7 Uhr. Denn schließlich haben wir morgen 300 Kilometer in Pakistan zu fahren, über die Grenze zu gehen und noch einmal 150 Kilometer im Iran zu fahren.

 

7 Uhr. Wir sind bereit. Keine Eskorte da. Zwei Polizisten, die die halbe Nacht neben unserem Auto gesessen haben meinen wir sollen bis um 9 Uhr warten. Wir wollen schon ohne Eskorte los fahren, als ein Hotelangestellter schnell das schwere Eisentor mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Wir machen Stunk, beschweren uns. 45 Minuten später ist die Eskorte da. Und weiter geht die Fahrt. Die Wechsel der Eskorten klappt wieder ganz gut, auch wenn sie nicht gerade den Eindruck erwecken uns vor einer Entführung beschützen zu können. Die Kalschnikovs haben schon mehr Jahre auf dem Buckel als die Soldaten selbst und die Polizeiautos sind in einem derart schlechten Zustand, dass eine Verfolgungsjagd definitiv verloren gehen würde. Ach egal – Augen zu und durch.

 

Wir kommen um die Mittagszeit an der Grenze an. Im Zollgebäude entdecken wir mit Freude unseren „Gemeinde Römerberg“-Aufkleber, den wir vor 8 Jahren hier an einen Schrank geklebt haben. Das Carnet de Passage ist schnell ausgefüllt. Beim Zollchef noch ein letztes Tässchen Tee in Pakistan bevor es zur Ausreise geht. Eigentlich keine große Sache. Eigentlich. Denn unsere dubiosen Visa sind auch hier wieder unbekannt. Die gleiche Leier wie so oft: unser Visa ist ungültig, wir sind illegal im Land. Uniformierte Pakistaner lieben es wohl ständig irgendwelche Behauptungen aufzustellen ohne vorher nachzudenken. Ganz schwer zu ertragen für uns Europäer.

 

Wir wollen den Beamten unsere Visa erklären, werden aber ständig unterbrochen. Uns platzt gleich der Kragen. Ständig müssen wir den pakistanischen Beamten ihren Job erklären. Werden sofort immer als Illegale und Kriminelle abgetan und zum Schluss ist dann doch die Welt in Ordnung. Sie spielen sich mit ihrer Uniform immer mächtig auf, haben null Ahnung von Visabestimmungen und lieben es andere zu beschuldigen.

Wir rufen beim Innenministerium in Islamabad an. Vielleicht hören die Grenzbeamten ja einem höher gestellten Beamten zu. Nein – sie wollen das Telefonat nicht annehmen. Unglaublich... Da wollen wir ihnen helfen, die Sache zu verstehen und was machen die – weigern sich. Ok ruhig Blut. Wir setzen uns ein wenig abseits und lassen die Beamten ihre eigene Lösung suchen. Nach einer Ewigkeit werden wir aufgerufen. Sie beschweren sich bei uns über unser Vorgehen, knallen den Ausreisestempel in unseren Pass. Wir fragen noch: ist unser Visa ok? - Ja, ist ok. - ja dann haben wir nichts mehr zu sagen.

Keine Entschuldigung und nichts.

 

Schade, dass die letzten Tage in Pakistan so chaotisch und ärgerlich verlaufen sind.

Und dennoch: Pakistan ist unser Favorit in Asien. Ein tolles Land, das unser Herz gestohlen hat.

Eins ist sicher: wir kommen wieder. Pakistan zindabad ! Lang lebe Pakistan !