18: Tadschikistan 1

07.08.2018

 

Nach stressfreier Ausreise aus Kirgisistan fahren wir 20 Kilometer durch No-Mans-Land und überqueren mit Silvester unseren ersten 4200er Pass. Wider Erwarten hat der Bus bergauf mehr Power als gedacht und wir kommen ohne Schwierigkeiten oben an. Die Landschaft ändert sich plötzlich schlagartig. Eben noch grüne Blumenwiesen in Kirgisistan, jetzt braune, karge Mondlandschaft in Tadschikistan. Beim bergab fahren macht es plötzlich einen lauten Knall. Wo kommt das her? Schießt jemand auf uns? Dann wieder. Ohje – das sind wir ja selbst. Silvester scheint die Höhe nicht so zu mögen und das Sauerstoff-Diesel-Gemisch stimmt ab 4000 Meter einfach nicht mehr, so dass unverbrannter Diesel im Auspuff nach Schubbetrieb explodiert. Klingt gar nicht gut und wir bekommen nach ein paar lauten Knalls heraus, wie man diese halbwegs umgehen kann. Aber trotzdem: bei jedem neuen lauten Knall zucken wir mitleidig zusammen. Silvester - halte durch !

 

Wir kommen auf der tadschikischen Seite der Grenze an. Die Grenzstation ist dermaßen runtergekommen, dass wir einen ersten Vorgeschmack auf das vor uns befindende Entwicklungsland bekommen. Fensterscheiben sind eingeschlagen, überall liegt Müll herum, einen festen Straßenbelag gibt es erst gar nicht und die Büros sind heruntergekommene Baracken. Wir legen unsere Ausdrucke der e-Visa vor und erhalten ohne Probleme unseren Einreisestempel für die kommenden 45 Tage. Dann geht es 100 Meter weiter, wo wir vor einem gespannten Draht, was wohl eine Schranke sein soll, halten müssen. Janus wird in eine Baracke gelotst und muss die Fahrzeugpapiere vorlegen. Der Beamte ohne Uniform, dafür in Jogginghose, teilt ihm mit, dass hier eine Desinfektion stattfindet und wir 10 Euro dafür bezahlen müssen. Desinfektion? Unser Auto ist noch das Sauberste hier auf dem gesamten Gelände! Eine Unverschämtheit ! Nix gibt’s !

 

Wir sind gut informiert und wissen bereits, dass wir an der Grenze nur eine Straßengebühr in Höhe von 25 Dollar bezahlen müssen. Alle anderen Forderungen sind Versuche unseren Geldbeutel leichter zu machen. Nicht mit uns. Korruption ist das Letzte und für uns Westeuropäer sowieso ein No-Go. Janus verhandelt, während Ursel mit Fabian unter der Absperrung durchgeht und weiter vorne schon mal schaut, wo denn die Straßensteuer zu bezahlen ist. 200 Meter weiter entdecken wir einen VW T 4 mit Salzburger Kennzeichen. Die beiden Männer, die zu dem Fahrzeug gehören, sind gerade mit den Beamten in lautstarker Diskussion. Auch von ihnen wurde an mehreren Stellen eine kleine Zusatzzahlung verlangt. Wir lassen uns kurz von den Österreichern aufklären, wie viel sie wo bezahlt haben, bevor sie wutentbrannt vom Grenzgelände brausen. Zurück bei Janus hat sich die Situation geklärt: der Beamte lässt uns ohne Desinfektion und Bezahlung weiter fahren, beschimpft uns aber noch ziemlich vulgär auf russisch.

Die Salzburger haben gute Vorarbeit geleistet und so geht nun alles seinen regulären Gang. Niemand möchte mehr Schmiergeld haben. Wir zahlen die 25 Dollar und fahren vom Gelände. Ein irrer Grenzwechsel. Wir sind froh ihn ohne Geldschaden überstanden zu haben. Aber ein paar Nerven sind dabei drauf gegangen.

Unser erstes Ziel in Tadschikistan ist ein See auf 4000 Meter Höhe. Der Karakul See leuchtet türkisblau in der unwirklichen, trockenen Landschaft, während im Hintergrund die Schneeberge aufragen. Wir biegen auf eine Seitenpiste ab, um hier unserer erstes Nachtlager aufzuschlagen. In der Nachmittagssonne unternehmen wir noch einen ausgiebigen Spaziergang auf 4300 Meter, ganz nach dem Motto: steige hoch und schlafe tief, um der Höhenkrankheit vorzubeugen. Wir kommen mittlerweile gut zurecht in der Höhe und sind dankbar, um die letzten Tage in Kirgisistan, die wir bereits über 3700 Meter verbracht haben.

 

Am nächsten Morgen geht es dann zurück auf die Hauptstraße. Hier ist die Hölle los. Andauernd sehen wir Radler, Motorradfahrer und ganz selten auch ein Auto mit Reisenden. Da denkt man, man ist weit weg von der Zivilisation und im letzten Zipfel der Erde unterwegs und dann ist hier mehr los als sonst wo bisher. Wir kommen daher nur sehr langsam voran, da wir bei fast allen Reisenden anhalten und uns unterhalten. Die Radfahrer, die uns in der Höhe und bei Gegenwind furchtbar leid tun, werden immer nach ihrem Wasser- und Essensbedarf gefragt. Fabi verteilt großzügig Schokokekse, während wir den Trinkwasserbedarf abchecken.

 

Im Örtchen Karakul wollen wir frisches Brot kaufen und Wasser auffüllen. Ursel fragt bei einer Frau auf der Straße nach und wird gleich mit zu ihr nach Hause genommen. Dort wird dann Brot gegen tadschikische Somoni getauscht. Im Ort gibt es ein paar Brunnen, bei denen mit Handpumpe kühles Trinkwasser nach oben befördert werden kann. Wir füllen unseren Tank und Wasserflaschen auf und pumpen einer Einheimischen ihre 25 Liter Alukanne auf, die sie dann auf einem Sackkarren nach Hause zieht. Wasserleitungen in Häusern gibt es hier nämlich nicht.

In Tadschikistan werden die kleinen Dorfläden unter anderem Magazin genannt. Wir finden den Laden und kaufen noch ein paar frische Tomaten und Gurken. Die Auswahl im Geschäft ist sehr dürftig. Es gibt nur das Nötigste und Coca Cola, wie überall auf der Welt. Nach ein paar Schnappschüssen von den Lehmhäusern und den Dorfkindern geht es weiter.

 

Bevor wir vom Pamir Highway ins Bartang Valley abbiegen, wollen wir noch mit unseren Bussen den 4655 Meter hohen Ak Baital Pass erklimmen. Er soll sozusagen auch als Probefahrt dienen, denn der Pass zwischen China und Pakistan ist genauso hoch und dort wollen wir auf keinen Fall Probleme mit unserem Bus bekommen. Bergauf geht es wieder recht easy, bergab wieder mit ein paar lauten Explosionen. Probefahrt also bestanden.

Nach einer Nacht in einem Seitental des Passes fahren wir am Passschild zurück auf den Pamir Highway. Dort steht bereits eine Gruppe bayrischer Motorradfahrer und ein junges Pärchen, das mit einem Opel Astra hier ist (www.allesohneviermalvier.wordpress.com). Die Motorradfahrer kommen gerade aus dem Bartang Valley, von dem unser Reiseführer warnt, dass nach einer gelungen Durchfahrt sowohl Auto als auch Fahrer zerstört sein würden. Klingt ja vielversprechend. Die Motorradfahrer berichten uns dann auf bayrisch: „des könnts vergessen – mit euren Autos kommts ihr da net durch“ - eine Stelle in 100 Kilometern ist so eng, dass sie selbst mit ihren Motorrädern kaum durchgekommen sind. Wir wollen uns von unserem Vorhaben nicht abbringen lassen und fahren dennoch ins Bartang Valley. Umdrehen können wir auch in 100 Kilometern noch – dafür haben wir noch genug Diesel.

 

Kaum sind wir von der Hauptstraße abgebogen, ist plötzlich nichts mehr los. Wir fahren durch eine einsame Mondlandschaft. Was uns zunächst nur als brauner Fels aufgefallen ist – ist nun ein Farbenspiel an jedem neuen Felsen. Dort rot – dann grünlich – mal gelb – mal lila. Die Straße hat es in sich. Von einer guten Staubpiste, über Wellblech, Schotter, Schlammwiesen und Geröll ist alles dabei. Die Brücken die über die Flüsse führen machen keinen vertrauenerweckenden Eindruck und wir prüfen zuvor zu Fuß, ob sie unsere Fahrzeuge halten werden – und sie tun es – zum Glück. Am ersten Tag begegnen wir niemanden und schlagen unser Nachtlager frühzeitig bei einem Meteoritenkrater auf, denn Fabi hat zwei Platten an seinem Bus. Die müssen in der staubigen und windigen Ebene noch geflickt werden.

 

Am nächsten Tag treffen wir nach 20 Kilometer auf einen Kleintransporter. Juhu. Das ist ein gutes Zeichen. Der Weg könnte frei sein. Nach insgesamt guten gefahren 100 Kilometern kommt tatsächlich die brisante Stelle. Sie ist zwischenzeitlich allerdings schon von einem Bulldozer, der noch verlassen auf der Seite steht, präpariert worden. Dennoch dürften wir nicht viel breiter sein und schlängeln uns durch die enge Stelle. Die Fahrt geht optimistisch weiter – mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h arbeiten wir uns Kilometer um Kilometer weiter. Jeder Meter rentiert sich hier. Die Landschaft ist einzigartig. Mal karg, mal fruchtbar.

Von der Hochebene auf 3500 Meter geht es schlagartig in sehr engen Serpentinen steil nach unten. In den Haarnadelkurven ist volle Konzentration verlangt, da der Weg sehr schmal und steinig ist. In solchen Ländern, wo wir unterwegs sind, gibt es natürlich keine Absperrung oder Leitplanken und auf die Bremsen muss hier einfach Verlass sein. Silvester ist gut in Schuss und wir kommen sicher unten an.

 

Nach ein paar weiteren Kilometern stehen wir plötzlich vor einem braunen, reißenden Seitenfluss, der in den breiten Hauptfluss mündet. Er sieht ganz schön wild aus und wir versuchen als erstes mit allen zugeschalteten Allradtechniken durchzufahren. Kaum sind wir im Fluss rutschen wir eine Stufe hinunter und stehen fast bis zum Schlitz der Luftansaugung des Motors im Wasser – d.h. 80 cm. Der Fluss donnert gegen unseren Bus und die Flutwelle auf der anderen Seite des Autos ist noch höher. Da wir bezweifeln das so einfach zu schaffen, fahren wir rückwärts wieder raus. Gertrude muss vor. Sie hat einen Schnorchel und kann auch durch tiefere Flüsse fahren. Gertrude gibt alles und packt es – der Fluss ist nur zu Beginn so tief wie unsere Lüftungsschlitze und es müsste klappen. Nun also Silvester. Janus ganz cool hinterm Steuer – Ursel total zappelig aus dem Beifahrerfenster schauend, ob Wasser in den Motor läuft. Es geht zum Glück gut und wir sind total erleichtert. Nach wenigen Kilometern entdecken wir einen Motorradfahrer aus England, der sein Lager unter einem Baum aufgeschlagen hat. Nur wenige Meter weiter ist ein weiterer reißender Fluss, den er morgen früh bei niedrigem Wasserstand durchfahren will. Denn die Gebirgsflüsse steigen während des Tages, da die Sonne das Eis und den Schnee in den höheren Lagen zum schmelzen bringt. Na super, dass wir am Nachmittag hier sind... der Engländer kommt mit uns, um zu schauen wie wir Autofahrer das machen. Und auch hier fährt Gertrude vor – Silvester brav hinterher. Der Fluss ist fast noch wilder wie der erste und wir klatschen uns nach erfolgreicher Durchfahrt erst einmal ab. Man war das aufregend...

 

Die nächste schwierige Stelle lässt nicht lange auf sich warten. Die Straße ist weg und wir müssen seitlich am Hauptfluss entlang fahren. Janus erkundet zunächst zu Fuß, ob die Stelle passierbar ist und winkt uns dann herüber. Wir kommen ohne Stecken bleiben durch und schlagen unser Nachtlager direkt neben der Straße auf – hier kommt sowieso keiner vorbei. Einzig und allein hören wir am nächsten Morgen um 6:30 Uhr den Motorradfahrer an unserem Lager vorbei brausen. Er hat es also auch geschafft. Super!

Am dritten Tag erreichen wir die ersten Dörfer. Sie sind von der Ferne schon durch ihre Felder und Bäume zu erkennen und sind einfach nur malerisch schön. Die Lehmhäuser sind ordentlich mit Kalk verputzt, die Gärten gepflegt und die Trampelpfade gekehrt. Es ist gerade Erntezeit und überall liegen Aprikosen und Heu zum Trocken aus. Einfach super idyllisch! Die Dorfbewohner winken von weitem und gestikulieren mit einer Handbewegung die zum Mund führt, eine Teeeinladung in ihr Haus. Wir lehnen ein paar Mal ab und halten dann in einem Dorf, um an frisches Brot zu kommen. Zwei Männer, die als Englischlehrer in der Hauptstadt Duschanbe arbeiten, laden uns zu einer gerade im Dorf stattfindenden Hochzeit ein. Spontan sagen wir zu und werden zunächst in ein Haus geführt, um einen Imbiss einzunehmen. Es gibt Ziegenmilch, frisches Brot, Buttermilch, Erbsen, Sahne und Tee. Nachdem wir uns gegenseitig zu unseren Lebensstilen ausgefragt und den Bauch vollgeschlagen haben, werden wir in ein typisches Pamirihaus, das aus robusten Holzbalken besteht geführt. Die Bewohner zeigen stolz ihr Haus, das total leer wirkt. Die Menschen sind echt arm und haben fast keine Besitztümer. Sie haben nur das Nötigste. Ein paar Decken, ein paar Töpfe, ein paar Kleider – das wars. Braucht man wirklich mehr?

 

Uns fällt eine Jurte im Dorf auf und die beiden Männer berichten uns, dass es im Dezember 2015 zu einem starken Erdbeben gekommen ist, bei dem alle 35 Häuser im Ort zerstört, glücklicherweise aber niemand getötet wurde. Daraufhin hat das Nachbarland Kirgisistan ein paar Jurten in die Pamirregion geschickt, was damals den Einheimischen in einem normalen Winter mit bis zu minus 30 Grad, vielleicht das Leben gerettet hat. Toll finden wir das !

 

Wir ziehen weiter zum Hochzeitsplatz. Das halbe Dorf ist schon da und die Musik dröhnt aus viel zu laut aufgedrehten Boxen. Dass drei Ausländer im Dorf sind hat sich auch schnell herumgesprochen. Wir werden neugierig beäugt und dann zum Tanzen zu Livemusik aufgefordert. Wir geben unser bestes und schwingen das Tanzbein. Nach zwei Stunden im Dorf reicht es uns dann und wir wollen nicht wie 2007 in Indonesien dem Brautpaar die Show stehlen und fahren hupend und winkend weiter.

 

Die Region ist nun dichter besiedelt und alle 10 Kilometer passieren wir ein Dorf. Die Bewohner der Region sind bekannt für ihre Gastfreundschaft und wir kommen in Genuss derer: hier werden uns Aprikosen in die Hand gedrückt, da wieder eine Teeeinladung. In einem Dörfchen wollen wir mal wieder unseren Brotvorrat aufstocken und schlendern unter Begleitung der umherspringenden Kinder zwischen den Häusern umher. Wir haben Glück. Es ist früh am Morgen und die frischen Brote werden gerade aus dem Gemeinschaftsofen des Dorfes geholt. Wir tauschen mal wieder Brot gegen Somoni und fragen uns zum „Magazin“ des Dorfes durch. Eine Frau holt schnell den Schlüssel von zu Hause und schließt uns auf. Unsere Augen brauchen einen Moment, um sich an die Dunkelheit im Raum zu gewöhnen. Und was sehen wir: nichts. Der Dorfladen hat neben ein paar Säcken Mehl, ein paar Fleischkonserven und Instantgetränken nur gähnende Leere in den Regalen vorzuweisen. Oh man – wie arm die Leute hier sind. Schrecklich. Und dennoch scheinen sie alles zu haben und bringen uns aus ihren Gärten noch schnell ein paar Gurken und Äpfel. Wir bedanken uns und ziehen dann weiter.

 

Am vierten Tag unserer Bartang-Durchfahrt wechseln wir die Fahrer – es wird Zeit, dass Ursel ihren Offroadführerschein macht. Die Strecke ist abenteuerlich und verlangt alles ab. Sowohl von Silvester als auch von Ursel. Die Straße ist oft gar nicht vorhanden und wir müssen am Rande des wilden Bartang Flusses entlang fahren. In der grauen Brühe erkennt man keinen Boden und weiß nicht was einen erwartet. Silvester macht seine Sache super und wir kommen immer ohne Probleme auf der anderen Seite wieder auf die Schotterpiste. Die Landschaft ändert sich zu einem engen Tal, indem der Fluss sich durch unzählige Kurven schlängelt. Die Straße ist einfach in den Felsen gehauen und nur einspurig. Gut, dass es so gut wie keinen Gegenverkehr gibt. Ausweichen ist hier nämlich kaum möglich. Auch müssen wir auf Felsüberhänge achten, um nicht mit Silvesters Dach hängen zu bleiben. Das Bartang Valley ist definitiv nichts für große LKWs, sondern nur etwas für Fahrzeuge ungefähr unserer Größe.

 

Am Nachmittag schlagen wir unser Lager im Gras neben Feldern und Aprikosenbäumen auf. Wunderschön – bis zur Nacht. Als wir in unseren Bus zum Schlafen steigen sehen wir schon dutzende, wenn nicht sogar hunderte kleiner Mini-Moskitos. Wir schließen die Türen und Fenster, rollen das Moskitonetz an den gekippten „Schlafzimmerfenster“ nach oben und zerdrücken die Tierchen. Zufrieden legen wir uns schlafen – bis es unheilbringend summt. Lampe an. Wir scheinen nicht alle erwischt zu haben. Also nochmal einige Dutzende zerdrücken. So geht das dann die nächsten zwei Stunden, bis Ursel in Unterhose aus der Dachbox unser Moskitonetz holt. Wir spannen es zum ersten Mal nach fast 11 Monaten on Tour und denken nun endlich an Schlaf. Am nächsten Morgen stellen wir fest, dass das Netz zwar engmaschig ist, nicht aber so engmaschig, dass auch die kleine Saubiester nicht durchpassen würden. Na toll ! Wir zählen besser nicht die ganzen Bisse. Ohne Frühstück verlassen wir den Platz und zuckeln auf der Holperpiste weiter.

 

Die Fahrt geht weiter durch enge Schluchten über noch engere Straßen. Ein schöneres Dorf nach dem anderen wird passiert und wir erreichen am Ende des fünften Tages einen schönen Platz mit Trinkwasserquelle, Wiese und Bäumen. Hier wollen wir uns einen Tag ausruhen bevor es weiter auf den Pamir Highway geht. Janus kocht aus den vielen geschenkten Aprikosen eine Marmelade und während Ursel gerade noch den Puderzucker über den Aprikosenkuchen verteilt stehen plötzlich unsere drei israelischen Radlerfreunde Khanani, Ariel und Abischay vor uns. Sie haben für die Durchfahrt des Bartang Valleys genauso lange gebraucht wie wir – Hut ab vor dieser Leistung! Innerhalb von wenigen Minuten ist der Kuchen verdrückt, die Reiseinfos ausgetauscht und dann heißt es auch schon wieder Abschied nehmen. Ihre Reise geht in wenigen Tage zu Ende und wir werden uns leider nicht mehr über den Weg laufen. Shalom & Bye Bye crazy guys!

Kurz bevor wir am nächsten Tag zurück auf den Pamir Highway stoßen treffen wir auf die beiden Salzburger von der Grenze mit dem VW T4. Wir bedanken uns bei Joe und Stefan nochmal für ihr hilfreiches Gezeter mit den Grenzbeamten und tauschen auch hier wieder Reiseinfos aus. Vielleicht sehen wir uns ja in Europa nochmal wieder.

 

Nach einer Woche verlassen wir das Bartang Valley. Es war eine der abenteuerlichsten und anspruchsvollsten Offroadtouren die wir bis dahin gefahren sind. Neben dem Karakorum Highway in Pakistan, dem Manali-Leh-Highway in Indien gehört der Bartang Trek für uns zu den schönsten Gebirgsstraßen überhaupt. Wir fahren weiter auf dem Pamir Highway, um zu sehen, ob er hält was viele versprechen.

 

Highway ist ein wirklich nettes Wort für die ziemlich schlaglochreiche Straße des Pamir Highways. Wellblech, löchriger Asphalt, Schotter und Staubpiste wechseln sich ab. Auch hier können wir kaum schneller als 60 km/h fahren. Der Pamir Highway verläuft auf dem Weg zur Provinzhauptstadt Khorog entlang des Flusses Panji. Er bildet die Grenze zu Afghanistan und wir können bereits erste Blicke in das wilde Land werfen. Wir verbringen eine Nacht mit Blick auf die afghanischen Berge und rollen dann am nächsten Morgen in die Provinzhauptstadt ein. Wir sind extra früh aufgestanden, um frühzeitig auf dem immer am Samstag stattfindenden „Border Bazar“ zu gehen, wo sich Afghanen und Tadschiken zum Handel treffen, doch leider ist auf dem angegebenen Platz niemand. Wir informieren uns in der Touristeninfo und bekommen mitgeteilt, dass dieser manchmal stattfindet und manchmal, nämlich heute, eben einfach nicht. Vielleicht findet er ja nächsten Samstag statt.

 

Kaum fahren wir weiter Richtung Pamir Lodge, wo wir die nächsten Tage uns erholen wollen, hören wir beim Lenken ein lautes Knacken. Janus legt sich auf dem Parkplatz des Hostels unter Silvester und entdeckt eine eingerissene Lenkmanschette. Bei den Flussdurchfahrten im Bartang Valley hatten wir einigen Steinkontakt und neben einer abgerissenen Plastikverkleidung, könnte dort auch die Lenkung in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Durch die gerissene Manschette ist Wasser eingedrungen und wir säubern das Lenkgelenk und „verarzten“ die Lenkmanschette mit speziellem Klebeband. Da wir ratlos sind, müssen wir wohl oder übel mit dem Knacken weiter fahren. 

Nach zwei Tagen in Khorog geht es weiter. Wir biegen gleich wieder vom Pamir Highway ab und fahren in den Wakhan Korridor. Der Wakhan Korridor ist ein schmaler Landstrich der zu Afghanistan gehört der Tadschikistan von Pakistan trennt. An der schmalsten Stelle ist er nur 18 Kilometer breit und man könnte, wenn es keine von Menschen gemachte Grenzen gäbe, einfach nach Pakistan weiter fahren. So einfach wird es uns aber nicht gemacht und wir müssen einen 2000 Kilometer Umweg fahren, um dorthin zu gelangen.

Wir fahren weiter am Panji Fluss entlang. Der Blick immer Richtung Afghanistan gerichtet entdecken wir wieder und wieder kleine grüne Dörfchen, wie sie in der braunen Felslandschaft kleben. An mancher Stelle trennen uns nur 10 Meter vom Nachbarland. Einige Reisende werfen hier einen Stein hinüber, um zu sagen, dass sie mal einen Stein nach Afghanistan geworfen haben. Wir finden das jedoch eine doofe Geste – ein Stein für Afghanistan und winken lieber rüber. Viele winken zurück und so können wir behaupten, dass wir nach Afghanistan gewunken haben. Ist doch irgendwie schöner als ein Stein.

 

Unsere erste Station ist die Heiße Quelle von Garmchashma. Für den Eintritt von umgerechnet einen Euro dürfen wir uns in dem heißen Schwefelwasser erholen. Tadschikistan ist ein muslimisches Land und so ist es selbstverständlich, dass es einen Männer- sowie einen Frauenbereich gibt. Während Janus mit Fabi in ein open air Becken mit zwanzig anderen Männern steigt bekommt Ursel eine eigene Kabine für sich allein. Das 3x3 Meter große Becken ist in einem mit Wellblech überdachten Raum und in zwei weiteren separaten Räumen können sich Frauen- oder Männergruppen einmieten. Nach einer halben Stunde haben wir allerdings genug und schwitzen noch ordentlich nach.

 

Die nächsten beiden Tage fahren wir immer weiter den Wakhan Korridor entlang. Die Straße ist teils ein löchriger Asphalt, teils Staubpiste. Das Knacken in unserer Lenkung ist entweder durch den Rüttellärm der Piste nicht zu hören bzw. fast ganz verschwunden. Vielleicht schaffen wir es ja so bis nach Pakistan, wo es angeblich Iveco Ersatzteile geben soll. In der Zwischenzeit erfahren wir von einem tödlichen Anschlag auf vier Radtouristen auf dem Pamir Highway. Unglaublich – wir haben uns hier so sicher gefühlt. Wir überlegen, ob es nun gefährlich ist weiter zu fahren oder ob wir ein paar Tage irgendwo stehen bleiben sollen, um die Situation besser abschätzen zu können. Aber wie schon beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt darf man sich von Terroristen nicht einschüchtern lassen – wir besuchen weiterhin Weihnachtsmärkte und daher fahren wir weiter. Diesmal aber wachsamer und auch bei der Stellplatzsuche für die Nacht gehen wir bei der Auswahl sorgfältiger vor. Man soll uns von der Straße auf keinen Fall sehen können. Rote Busse sind in der braunen Berglandschaft nämlich kilometerweit zu sehen.

 

Unser nächster Stopp sind nach dem Umherschlendern in einem alten Fort mit Blick nach Afghanistan die heißen Quellen von Bibi Fatima. Wir waren zwar schon von den heißen Quellen in Garmchashma angetan – die Quellen von Bibi Fatima sind aber noch besser. Wieder in einem getrennten Frauen- und Männerbereich ist das Wasser diesmal kaum schwefelhaltig. Das Frauenbecken ist direkt unterhalb des Felsen aus dem das heiße Wasser aus Spalten und kleinen Wasserfällen fließt. Der Fels ist halb mit Moos bedeckt und man kann sogar den Himmel sehen. Die Einheimischen benutzen regelmäßig die heiße Quelle und man sagt ihr übersinnliche Kräfte zu. Naja – mal sehen. Wir genießen eine Stunde das wohltuende heiße Wasser und treffen uns dann wieder bei den Bussen.

 

Am Abend kehren wir unweit von Bibi Fatima in ein Gasthaus ein. Wir nehmen an einem Tisch auf Plastikstühlen Platz und fragen erst gar nicht nach der Menükarte – denn in einfachen Gasthäusern fragt man die Wirtin einfach was sie heute anzubieten hat. Wir hoffen auf Schaschlik, da wir einen Bärenhunger haben. Sie hat jedoch nur Suppe und Nudeln in einer Suppe im Angebot. Also gut – wir nehmen was es gibt und schlürfen unsere Suppen. Als wir am Nebentisch entdecken, dass dort Schaschlik, Salat, Kartoffel und Zwiebeln aufgetischt werden, sind wir zunächst sprachlos. Wir wollten doch auch Schaschlik... die am Tisch sitzende Familie hat wohl ihr eigenes Essen mitgebracht und ständig werfen wir gelüstende Blicke hinüber. Sie scheinen wohl Mitleid mit uns und unserer dünnen Suppe zu haben, denn plötzlich stehen sie auf und bringen uns drei Fleischspieße und ein paar Beilagen. Das Familienoberhaupt schwankt dann noch mit einer Wodkaflasche und einer Teetasse (Schnapsgläser gibt es in Tadschikistan nicht) zu uns und wir bekommen nacheinander eine Tasse eingeschenkt. Zack – runter damit. Wir sind begeistert und bedanken uns 100 Mal. 

Einen weiteren Zwischenstopp legen wir in Vrang bei einer buddhistischen Stupa ein. Im Gegensatz zu Afghanistan, wo buddhistische Gebetsstätten von der Taliban zerstört wurden, gibt es hier noch ein paar Überbleibsel. Wir spazieren mit den Dorfkindern in der Berglandschaft umher und genießen noch einen Einblick in das Dorfleben. Die Menschen im Wakhan Korridor sind extrem freundlich. Überall bekommen wir zugewunken, werden zu einer Tasse Tee eingeladen oder bekommen Brot geschenkt. Durch jedes Dorf wo wir kommen winken die Kinder schon von weitem, in Felder sehen wir nur Hände zwischen dem Weizen herausragen, die ebenso winken. Ältere Menschen nicken einem freundlich zu und selbst die bunt angezogenen Frauen haben keine Scheu uns Hallo zu sagen. Nach dem Anschlag auf die Touristen tut das einfach nur gut so warmherzig aufgenommen zu werden.

 

Nach dem Dorf Langar fahren wir nun durch unbesiedeltes Land. Die Straße wird so schlecht und wir verfluchen jeden Meter Wellblech. Wir ärgern uns, dass wir die Landschaft gar nicht mehr richtig genießen können, da wir uns so auf die Straße konzentrieren müssen.

 

Einen letzten Stellplatz bevor es wieder auf dem Pamir Highway geht legen wir an einem abseits gelegenen See auf. Ein toller Platz. Mit Schneebergen im Hintergrund und da wir mal wieder auf 4200 Meter sind ist der Sternenhimmel in einer fast mondlosen Nacht einfach unbeschreiblich. Wir zählen einige Sternschnuppen und die Milchstraße wirkt wieder zum Greifen nahe. Und schon ist der schlechte Straßenbelag und das laute Scheppern des Tages vergessen...