31: Türkei / Europa 2

05.05.2019

 

Wir kommen auf der türkischen Seite der Grenze an und werden sofort getrennt. Janus muss als Fußgänger die Grenze passieren, während Ursel mit Silvester weiter zum Zoll fährt.

Die Grenzbeamten und Zöllner sind zunächst freundlich und nach dem Erhalt des Einreisestempels geht es zum „Car Check“. Beim Öffnen der Schiebetür entwischt den Beamten nur ein „Ohhhhh“, denn es stehen so viele Taschen, Rucksäcke und Kartons überall in unserem Bus, dass man nicht mal rein steigen kann. Und die und alles sonst so im Bus wollen oder müssen die Beamten nun überprüfen. Gleichzeitig steigen zehn Zöllner aufs Dach, durchsuchen das Fahrerhaus, wollen in die hintere Kiste schauen und den gesamten Innenraum auf den Kopf stellen.

 

Als erstes wird die Drohne unserer Schweizer Reisefreunde Carole & Mike entdeckt und konfisziert. Danach noch einen Berg voll Steine und Muscheln, die wir zum Teil seit über einem Jahr mit uns spazieren fahren. Na toll.

 

Wirklich jeden Winkel wollen sie sehen, in alle Vorratsdosen, Verpackungen mit Ersatzteilen, Shampooflaschen... Auch unser Flasche „Hand-Desinfektionsmittel“, indem sich immer eine Notration Wodka befindet wird inspiziert, aber ohne Geruchstests wieder zur Seite gestellt. Innerhalb kürzester Zeit sieht es aus als hätte eine Bombe in unseren Bus eingeschlagen, denn die Zöllner wühlen alles durch, zerren jedes Teil raus und räumen danach natürlich nicht die Sachen zurück. Nach 20 Minuten wollen sie, dass Ursel alle Rucksäcke und Taschen mit Souvenirs leert. Die hat aber keine Lust mehr. Was suchen die eigentlich? Die Beamten bekommen die Säcke vor die Füße geworfen – sollen sie doch selber machen. Während die Beamten nur oberflächlich die Taschen öffnen diskutiert Ursel schon mal mit dem Chef über die Drohne und die Steine – Taktik: kein Interesse zeigen.

 

Also die Drohen gehört nicht uns – viel Spaß damit – der Chip ist allerdings geblockt, damit man sie als Fremder nicht benutzen kann. Ja und die Steine: sind mir sowieso ein Dorn im Auge – mein Mann sammelt die immer und ich wäre sie am liebsten los.

 

Die Beamten beratschlagen sich auf türkisch und sagen dann nur: ok, take it. Yes – Taktik aufgegangen. Alles wird schnell in den Bus geräumt und dann nichts wie weg.

 

Janus wird am letzten Tor aufgegabelt und wir klatschen uns außer Sichtweite der Grenze erst mal ab. Keiner hat sich für unseren geschmuggelten Diesel, die illegalen Steinbockköpfe und ein paar Flaschen Alkohol interessiert.

 

Da wir in der Grenzregion zum Irak und zu Syrien unterwegs sind, haben sie wohl eher nach Waffen gesucht. Wir fahren durch eine Berglandschaft, die mit Schnee bedeckt ist weiter. Vorbei durch kleine Dörfchen, indem uns die Bewohner immer wieder lachend zuwinken. Die Kurden sind einfach nur herzlich und fröhlich.

Nach einer Stunde ein weiterer Check-Point. Nachdem unsere Pässe kontrolliert und ein Blick in den Bus geworfen wurde, heißt es nur: Car Check – Open this bag and this and open that. Was? Wir wurden doch gerade durchsucht. Wir verstehen ja, dass wir in einem heiklen Gebiet unterwegs sind und wir hätten ja auch einen anderen Weg wählen können. Aber im Ernst, schon wieder alles auspacken? Und so stehen wir nun gemeinsam im Bus, zeigen was wir haben und können nach 30 Minuten passieren.

 

So geht es dann alle 40 bis 50 Kilometer bis wir am 5. Checkpoint im Dauerregen keine Lust mehr haben. Wir fühlen uns vom Militär behandelt als wären wir Terroristen. Wir beschweren uns, aber keiner versteht uns. Keiner kann englisch oder vielleicht sogar deutsch. Fünf Checkpoints mit Taschen- und Buskontrolle in fünf Stunden. Und davor erst der Grenzcheck. Es reicht. Wir machen nichts mehr und gehen in den Sitzstreik. So langsam wird uns bewusst, dass wir uns für den falschen Grenzübergang entschieden haben. Wir kannten den Übergang bereits und wollten noch einmal die landschaftlich reizvolle Tour durch die grandiose Berglandschaft der Südosttürkei fahren.

 

Außerdem hätten wir vielleicht doch lieber unseren Zweitpass zur Einreise nehmen sollen, ohne unsere ganzen Pakistan-Visa-Aufkleber. So kann man als Soldat leicht den Eindruck bekommen, dass wir dort in einem Terror-Trainingscamp ausgebildet wurden und nun auf dem Weg in den Irak oder Syrien sind. Was nicht ganz so an den Haaren herbei gezogen wäre.

Der Sitzstreik endet nach 10 Minuten bereits. Wir dürfen weiter fahren. Nach einigen Kilometern schlagen wir in der Nähe der Straße unser Nachtlager auf. Wir haben gerade das Abendbrot verspeist und wollen uns schlafen legen, als es an den Bus klopft. Vier schwer bewaffnete Männer, wohl von der kurdischen Miliz, geben uns zu verstehen, dass wir hier nicht sicher sind. Wir sollen zwei Kilometer weiter fahren und bei ihnen vorm Haus schlafen. Diskussion zwecklos, wir parken schnell um und gehen früh zu Bett. Die Nacht verläuft ruhig und am nächsten Morgen fahren wir schnell weiter.

 

Immer wieder treffen wir auf schwer gepanzerte Fahrzeuge des Militärs sowie Soldaten, die im Graben hocken und ihre Gewehre Richtung Irak bzw. Syrien gerichtet haben. Auch Minensuchtrupps sehen wir. Uns wird bewusst wie angespannt die Lage hier noch ist. Nichts wie weg !

Kurz nach der Stadt Sanliurfa fahren wir an einem Flüchtlingscamp vorbei. Dort haben bestimmt 10.000 Menschen ihr vorübergehendes Zuhause in Zelten aufgeschlagen. Wir schlucken einmal kräftig und sind so froh, die Freiheit zu haben einfach nach Hause fahren zu können. In ein friedliches Land, wo man keine Angst haben muss, ob man den morgigen Tag überlebt.

 

Wir fahren weiter und weiter. Durch Schnee, Regen und Schneeregen. Das Wetter lädt zu keiner Pause ein und so fahren wir zügiger als gedacht. Vorbei an Ankara, wo uns Erdogans Ebenbild auf zahlreichen Plakaten begegnet. Auffallend ist, dass die Bilder Erdogans genauso hoch hängen, wie die Wahlplakate der REP in Deutschland – ob es da einen Zusammenhang gibt?

 

Im Eiltempo erreichen wir nach vier Fahrtagen unsere Hochzeitsstadt Istanbul. Über den Eurasien-Tunnel verlassen wir nach über 18 Monaten Asien und sind nun offiziell wieder in Europa. Ein komisches Gefühl. Das ist also unser Europa. Der gelobte Kontinent.

 

Wir parken wieder direkt im Zentrum und legen für zwei Tage eine Fahrpause ein. Wir verlieben uns sofort wieder neu in diese Stadt. Sie hat einfach Flair. Vorne die tollen Touristenattraktionen wie Aya Sofia, die Galatabrücke, die Blaue Moschee und kaum zwei Straßen und wenige Minuten weiter das einfache türkische Leben. Schiefe Holzhäuser, schicke restaurierte Altbauten, ein Opi der seinen Cay auf dem Stuhl vor seiner Tür schlürft, Kinder die in den Gassen spielen und Muttis, die ihre Wäsche aufhängen. Einfach toll.

 

Wir kraulen uns außerdem einmal quer durch die türkische Küche, erfreuen uns an kräftiger Sucukwurst, beißen in leckere Pide und trinken Ayran bis zum Abwinken. Auch der Döner steht auf dem Programm. Der ist allerdings viel trockener als sein Deutsch-türkisches Original, da in das Fladenbrot neben Fleisch nur zwei Scheiben Tomaten und ein paar Pommes (!) gelegt werden.

 

Nach drei Tagen fahren wir noch vor Sonnenaufgang raus aus Istanbul und in Richtung Bulgarien und in EU.  

In der netten Stadt Plovdiv legen wir einen kleinen Zwischenstopp ein, denn wir haben seit fast sieben Monaten ein Paket von unserem Reisefreund Ivan mit dabei. Ivan haben wir im letzten Sommer in Kirgistan kennen gelernt, ein Paket von ihm in Pakistan aufgesammelt und nun mit nach Bulgarien gebracht. Leider wohnt Ivan nicht auf unserer Route Richtung Heimat, jedoch seine jüngere Schwester. So holen wir Zahnärztin Desi bei der Arbeit ab, überreichen die Habseligkeiten und verbringen ihre Mittagspause zusammen.

Weiter geht es raus aus der EU, rein nach Serbien, wo wir eine Nacht auf einem Rasthof die Nacht verbringen. Am nächsten Morgen geht es früh weiter, wieder rein in die EU nach Kroatien. Immer weiter Richtung Norden. Durch Slowenien und weiter nach Österreich. Wir fahren weiter über die Grenze nach Kärnten über den 1000 Meter hohen Wurzenpass. Das Wärterhäuschen war bereits abgerissen und mussten wegen der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 wieder aufgebaut und besetzt werden. Wir werden mit deutschen Kennzeichen gleich weiter gewunken und fahren den Pass herunter. Wir kommen kurz danach bei unseren Freunden Kerstin und Rudi in Fresach an. Nach den letzten turbulenten zweieinhalb Wochen von Islamabad bis hierher, kommen wir uns vor als würden wir nach einem Sturm einen sicheren Hafen erreichen. Wir parken im Garten und stoßen erst einmal mit einem leckeren Bier auf unsere sichere Ankunft hier an.  

Drei Tage später verabschieden wir uns am Abend von Kerstin & Rudi. Nochmal Danke, dass wir uns bei euch mal wieder so gut erholen konnten. 

 

Bei Anbruch der Dunkelheit machen wir uns auf den Weg Richtung Deutschland. Auch diesmal fahren wir vorm Grenzübergang von der Autobahn ab und schlängeln uns über Berge Richtung Bayern. Ganz unspektakulär fahren wir in der Nacht über die grüne Grenze und sind nach über eineinhalb Jahren wieder auf deutschem Boden. 

 

Wir fahren bis wir hundemüde sind und übernachten ein letztes Mal in unserem Bus bei Augsburg. Wir stellen uns den Wecker für früh am Morgen und fahren zügig ohne Pause weiter. 

 

Nach 571 Tagen, 56.500 gefahrenen Kilometern, sieben Platten, 20 Ländern und 34 Grenzübergängen kommen wir am 5. April wieder wohlbehalten zu Hause an. Halb geplant, halb spontan haben unsere Familien eine Feier vorbereitet mit Pfälzer Leckereien. Leberwurstbrote, Dampfnudeln und Gemüsesuppe schmecken doch einfach am Besten. Schön wieder zu Hause zu sein ! 

Fazit unserer Reise:

 

Zunächst: Silvester ist ein wirklich tolles und robustes Allradfahrzeug. Wir hatten zu Beginn Bedenken, was er so alles kann und wie anfällig er für Reparaturen sein wird. Aber: nach 19 Monaten wissen wir nun, dass er uns nie im Stich gelassen hat. Es waren vor allem Verschleißteile die getauscht werden mussten. Und auch allradtechnisch waren wir vor allem in bergigem Gelände begeistert. Nicht wir zeigten ihm seine Grenzen, sondern er uns die unseren.

 

Unsere Reise war dieses Mal voll gepackt mit fünf separaten Kulturkreisen: der Kaukasus, der Orient, Arabien, Zentralasien und der indische Subkontinent. Für 19 Monate war das für uns definitiv zu viel. Weniger ist mehr und das nächste Mal konzentrieren wir uns lieber wieder nur auf zwei oder maximal drei Gebiete.

Wir bevorzugen es nämlich ein Land richtig kennen zu lernen und nicht nur schnell durchzurauschen. Je nachdem wie die Visabestimmungen mitspielen.

Besonders hat uns dieses Mal die südliche Küstenstraße im Oman, die Berge in Kirgistan und der nördliche Karakoram Highway in Pakistan gefallen. Landschaftlich waren diese Regionen total unterschiedlich und jede für sich einzigartig.

 

Oft werden wir gefragt, ob es denn nicht gefährlich war oder ob es eine brenzlige Situation gegeben hat. Wir müssen lange überlegen: nein, das Reisen in Asien ist nicht gefährlicher als in Europa. Wir haben durchweg tolle Erfahrungen gemacht. Die Einheimischen sind meist ärmer (Ausnahme: Emirate) und leben ursprünglicher als in Europa und müssen noch wirklich zusammen halten. Stress und Termindruck kennen viele in Asien nicht. Man hat immer Zeit, um einen Schwatz zu halten oder einen Tee zu trinken. 

Insgesamt wurden wir ca. 600 mal zum Tee eingeladen, haben 36 Nächte bei Familien zu Hause übernachtet, wurden ca. 100 mal zum Essen eingeladen und haben 42 Geschenke erhalten. 

 

Dass wir uns dieses Mal Zeit genommen haben, um mehr in das Familienleben einzutauchen, war die richtige Entscheidung. Sehenswürdigkeiten sind in den Hintergrund gerückt. Menschen in den Vordergrund. Einfach mal mitgehen und sehen wie andere Menschen tatsächlich leben. In der Küche mitkochen, im Haus etwas reparieren und an Familienfeiern teilnehmen. Wir waren hautnah dabei. Haben Familien lachend und harmonisch, aber auch mal streitend und weinend erlebt. Ehrliche Einblicke. Neben den Naturschönheiten unser Highlight auf der Asienreise 3.

 

Und was geben wir zurück? Wir machen Werbung für den buntesten und abwechslungsreichsten Kontinent, berichten unseren Lesern, dass in Pakistan und Iran (fast) keine Terroristen leben, sondern großartige Menschen, die unter dem schlechten medialen Image ihres Landes leiden. Dass in Dubai nicht alles gold ist was glänzt und Kirgistan ein Land wie aus dem Bilderbuch ist. Dass China viel interessanter ist als wir dachten und Turkmenistan wirklich Absurdistan ist. Dass der Oman ein perfektes Urlaubsland und Indien gar nicht mehr so verrückt ist.

Und, dass Deutschland ein schönes Land ist. Wir hätten uns keine bessere Jahreszeit zur Rückkehr aussuchen können. Die Sonne scheint, alles blüht und die Menschen sind gut drauf. 

 

Und noch eine Frage bekommen wir oft gestellt: wann geht es wieder los und wohin. Wir sind nun erst einmal für die nächste Zeit gesättigt und brauchen genau das vor was wir geflüchtet sind: Alltagstrott.

Ganz von Asien werden wir uns nie mehr lösen können. Zu viele Freundschaften sind entstanden, die gepflegt werden wollen. Wir sind jedoch offen für Neues. 

 

Und wie immer: nach der Reise ist vor der Reise.