23: Pakistan 2

31.10.2018

 

Unser Fahrt führt über das Astore Valley zurück auf dem Karakoram Highway. Wir genießen wieder jeden Meter, bleiben hier und da für ein Päuschen stehen und nähern uns der Stadt Chilas. Diese kam uns schon 2010 und 2011 komisch vor und beim Einfahren dämmert es uns langsam was hier so anders ist. Es ist keine einzige Frau auf der Straße zu sehen. Nur Männer. Ausschließlich. Nur zu gut, dass Ursel ohne Kopftuch hinterm Steuer und Saif auf dem Beifahrersitz sitzt während Janus hinten auf dem Bett entspannt. Der halbe Basar steht still und starrt uns an, als wir langsam vorbei fahren.

 

Hinterm Basargelände bleiben wir kurz stehen damit Saif ein paar Hotels abchecken kann, während sofort dutzende Männer und dann auch noch Polizisten ans Fahrerfenster treten. Was wir hier wollen. Das ist keine sichere Stadt für Ausländer. Besser wir fahren hier wieder raus. Sind ihre Empfehlungen. Aber es wird schon langsam Abend und wir wollen auf keinen Fall weiter fahren, sondern uns ausruhen, mal wieder duschen und die Beine hoch legen. Die abgeklapperten Hotels können uns alle keinen sicheren Parkplatz für Silvester anbieten und so überlegen wir wieder aus der Stadt herauszufahren. Doch dann fällt uns ein, dass unser Freund Zubair aus Gilgit bei unserer Abfahrt vor zehn Tagen noch meinte: wenn ihr in Chilas seid, könnt ihr im Haus meines Bruders übernachten. Dieser ist der oberste Richter der Stadt und so fragen wir die am Fenster versammelten Männer und Polizisten nach dem Haus des Richters. Aber auch hier sind die Polizisten not amused und erlauben uns nicht dorthin zu fahren, geschweige denn dort zu übernachten.

 

Wir drehen also erst noch einmal um, stellen uns an den Stadteingang und telefonieren mit Zubair und dessen Bruder, der von Freunden TwoTwo genannt wird. Er ist noch unterwegs und nicht in der Stadt, wir sollen aber schon mal zu ihm nach Hause fahren, seine Bediensteten würden uns auf das Grundstück und ins Haus lassen. Nach seiner Wegbeschreibung folgend passieren wir wieder den Basar. Zufällig fährt in diesem Moment eine Polizeieskorte vor uns und als Außenstehender könnte man meinen, dass sie uns durch die Stadt eskortieren. Die griesgrämigen Polizisten am Straßenrand lassen uns deshalb ohne Anzuhalten passieren. Wir folgen der Eskorte unauffällig bis wir vorm Haus des Richters ankommen. Saif springt schnell aus dem Auto, klopft ans Tor und winkt uns wild gestikulierend in das Gelände. Ok, ok.... ist ja gut, wir fahren rein und kaum ist das Tor geschlossen, hämmert es auch schon dagegen. Es ist die Polizei. Aber Saif erklärt uns, dass ein Richter in Pakistan Immunität genießt und weder die Polizei noch das Militär nicht ohne Weiteres sein Gelände betreten dürfen. Wir sind also hinter dem Eisentor sicher und verstehen nun seine wilden Handbewegungen.

 

Wir warten noch zwei Stunden bevor TwoTwo, seine Frau und zahlreiche Cousins eintreffen und nutzen die Zeit mal wieder ausgiebig zu duschen und das Wifi zu benutzen. In der Zwischenzeit haben die beiden Angestellten des Hauses ein leckeres Abendessen aus Hähnchen- und Ziegenfleisch gezaubert und so sitzen wir zu siebt auf dem Boden und langen ordentlich zu. TwoTwos Frau Sonia bleibt den gesamten Abend versteckt vor den Blicken der fremden Männer im Haus in ihrem Schlafzimmer und lässt sich das Abendessen von den Bediensteten bringen. Ursel hat wie immer mehr Freiheiten in einem pakistanischen Haus und kann sich in Ruhe allein mit Sonia unterhalten. Sie berichtet, dass sie seit einem Jahr in Chilas sind und sie froh ist, wenn ihr Mann wieder versetzt wird. Alle paar Jahre ist dies der Fall, um in der Karriereleiter immer weiter nach oben zu kommen. Sie hofft, dass sie in zwei Jahren nach Gilgit versetzt werden, wo Frauen ganz selbstverständlich auf der Straße anzutreffen sind. Sie konnte die Situation zu Beginn nur schwer ertragen und hat, um den Frauen der Stadt zu helfen, ein soziales Projekt gestartet. Ein Laden von und für Frauen in einem privaten Haus, bei dem die angebotenen Produkte auf die Frau abgestimmt sind: Bhs, Unterhosen, Schmuck, Parfüm, Bettlaken, Tischdecken. Wir finden das super und dennoch ist es schon schlimm genug, dass es solche Projekte überhaupt erst geben muss. Frauen sind nur verschleiert in Begleitung ihres Mannes auf dem Beifahrersitz eines Autos in Chilas geduldet und Sonia berichtet, dass das Fahrzeug einer Frau hier im Fluss versenkt wurde, da diese hinterm Steuer des Fahrzeuges saß. Da sind wir ja froh, dass sie Silvester und uns in Ruhe gelassen haben.

 

TwoTwo erzählt uns, dass es hier in der Gegend die letzten Schulen in Pakistan gibt, die für Mädchen tabu sind. Es gibt zwar Schulen, doch die Eltern werden von den örtlichen Mullahs so manipuliert, dass sie ihre Töchter nicht dort hin schicken. Nicht nur wir finden das erschreckend, sondern auch der Rest des Landes. Und es gäbe nur eine Lösung: die Mullahs müssen weg. Egal wie.

 

Und dennoch ist zu sagen, dass Chilas eine Ausnahmestadt in Pakistan ist. So wild ist es nur hier und in unserer Fantasie stellen wir uns so Afghanistan vor. 

Nach einer erholsamen Nacht und einem Frühstück verabschieden wir uns von TwoTwo, Sonia & den Bediensteten und fahren weiter über das Kaghan Valley Richtung Islamabad.

 

Bei der Abzweigung in dieses Valley müssen wir uns an einem Checkpoint registrieren. Überraschenderweise will uns hier das Militär eine bewaffnete Eskorte mit ins Auto setzen. Das zu durchfahrende Gebiet wäre zu gefährlich und für die 60 Kilometer bis zum Babusar Pass soll ein Soldat in unserem Auto sitzen. Ursel bleibt stur: Nein! Nicht in unserem Auto! Wir sind Pazifisten! Keine Soldaten, geschweige denn Waffen in unserem Bus! Wenn ihr uns eine Eskorte geben wollt, dann nur in einem Begleitfahrzeug. Wir diskutieren mit ihnen und stellen bald fest, dass sie gar kein Auto hier zur Verfügung haben. Sie notieren sich Saifs Personalien und erlauben uns dann ohne Eskorte weiter zu fahren. Na, dann kann es ja doch nicht sooo gefährlich sein.

 

Die Straße windet sich steil bergauf in Richtung dem Babusar Top auf 4200 Meter. Silvester zieht wieder einwandfrei. Als uns ein Motorrad überholt und auf unseren Reifen zeigt, halten wir an: Plattfuß Nummer 4 seit Reisebeginn. Schnell wechseln wir bei 5 Grad Außentemperatur das Rad und fahren weiter.

 

Der Babusar Pass war vor acht Jahren unser Meilenstein mit dem VW Bus. Unbefestigte Straße, alles wild und kein Mensch weit & breit. Das hat sich geändert. Die Straße ist super asphaltiert, auf dem Top gibt es zahlreiche Essensbuden und viele einheimische Touristen sind ebenso wie wir hier. Es ist Anfang Oktober und auf dem Pass schneit es schon leicht. Die Wolken hängen tief und so ist die Sicht leider getrübt. Wir stärken uns mit Kichererbsen & dampfendem Fladenbrot und fahren weiter ins Örtchen Naran.

 

Dort hat unser Freund Zubair aus Gilgit schon alles in die Wege geleitet und wir können beim staatlichen PDTC Hotel für umsonst parken und die Toiletten benutzen. Auch Saif bekommt für umsonst eine kleine Baracke. Das Örtchen ist klein, aber stark in Touristenhand und so verbringen wir zwei Tage damit hin- und herzuschlendern, ein paar Souvenirs zu kaufen und Essen zu gehen.

 

Weiter geht die Fahrt über Abbottabad (wo vor sieben Jahren Osama bin Laden von den Amerikanern erschossen wurde), Nathiagali und Murree Richtung Islamabad. Die Landschaft ändert sich ganz plötzlich und wir fühlen uns wie im Schwarzwald. Die Berge sind übersät mit riesigen Nadelbäumen und nach einigen Kilometern plötzlich die Überraschung: Affen! Unsere ersten auf dieser Reise. Wir halten sofort und schießen Fotos. Janus knibbelt eine Banane an eine dicke Schnur und lockt die Affen somit zu unserem Bus. Es ist zum totlachen und die Affen springen auf unsere Motorhaube und gewinnen zum Schluss das Spiel. Fünf Bananen haben sie uns abgeluchst. 

Wir kommen am Nachmittag in Islamabad an. Die Stadt, die erst in den 60ziger Jahren entstanden ist, wurde in einem Schachbrett angelegt. So wie in Mannheim gibt es hier Quadrate, nur sind diese viel größer. Wir fahren ins Quadrat F 8 und dort zum „Directorate of Immigration & Passport“. Hier wollen wir unsere Visagültigkeit nun endlich verlängern lassen. Wir erklären einer verschleierten Frau, die Englisch spricht, unser Anliegen und fragen nach, ob dies überhaupt möglich ist. Jaja, kein Problem. Am Montag sollen wir wieder kommen und alle Papiere abgeben.

 

Die Zwischenzeit verbringen wir mit Saifs ehemaligen Mitbewohner aus seiner Zeit in London. Rehan hatten wir bereits 2011 kennen gelernt und so sind wir begeistert ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen. Er hat mittlerweile zwei Restaurants in Islamabad, wo wir uns die nächsten Tage durchfüttern lassen. Außerdem können wir vor einer Wohnung von Rehans Angestellten parken und dort das Badezimmer benutzen. Am ersten Abend kommen dann noch einige Verwandte von Rehan nach Islamabad, die er, so sind die Kulturgegebenheiten, ebenso wie uns durchfüttern muss. Auch wenn er das gar nicht möchte – das sind die Schattenseiten der Gastfreundschaft. Sie kommen aus der Provinz Balochistan, können kein Englisch und werden von uns still & heimlich die „Fat Boys“ genannt. Sie sind einfach XXXL, kleine Barbaren, furzen und rülpsen ohne mit der Wimper zu zucken auch am Tisch. Ein Geschäftspartner von Rehan ist ebenso mit dabei und erklärt uns im besten Englisch die Tradition „Talib Gola“. Diese ist eine Erweiterung der normalen Gastfreundschaft und besagt, dass man seinen Gast nicht nur bewirten soll, sondern wenn es ein ganz besonderer Gast ist soll er gefüttert werden. Dazu wird ein Stück Brot abgebrochen mit Fleisch und Soße bestückt und dem Gast in den Mund geschoben. Je größer das Stück desto mehr Respekt soll es zeigen. So bereitet Shakil mit seiner rechten Hand (die Linke gilt als unrein und wir für den Toilettengang benutzt) ein extra großes Stück zu und füttert uns nacheinander. Ein komisches Gefühl von einem fast Fremden gefüttert zu werden. Aber wir haben uns in Pakistan oft einfach treiben lassen, ganz nach dem Motto: go with the flow.

 

Zwei Abende später werden wir zu Hause bei Rehan empfangen. In einem schicken modernen Gebäudekomplex wohnt er mit seiner schwangeren Frau in einer Wohnung, während seine Schwester einige Stockwerke tiefer ebenso mit ihrem Mann & einem Neugeborenen lebt. Rehans Wohnung wird „Frauenfrei“ gemacht, damit die Fat Boys, Shakil, Rehans Schwager, Saif und wir dort empfangen werden können. Nach einem leckeren Abendessen aus Lammfleisch, gerilltem Hühnchen, Gewürzreis, verschiedene Joghurtsoßen und frischem Brot, wird Ursel dann in die Frauenwohnung eskortiert. Dort sind dann nicht nur Rehans Frau und Schwester, sondern auch seine Mutter sowie die Schwiegermutter von Rehans Schwester. Vor fünf Wochen hat sie ein kleines Mädchen bekommen und so ist es in Pakistan selbstverständlich, dass die halbe Familie anrückt, um in den ersten Monaten zu unterstützen. Rehans Schwester ist Kardiologin und steht mit beiden Beinen fest im Berufsleben. Eher untypisch für Pakistan, aber schön eine Gleichgesinnte hier zu treffen. Nach zwei Stunden Gequatsche geht es wieder zurück in die Männerwohnung und dann todmüde ins Bett. 

Es ist Montag: wir geben unsere Papiere im Directorate of Immigration & Passport ab und handeln die Wartezeit von 14 auf acht Tage herunter. Schließlich wollen wir nicht ewig in Islamabad bleiben. Am folgenden Tag fahren wir in die „Diplomatic Enclave“ von Islamabad. Eine kleine Stadt in der Stadt, in der alle Botschaften vertreten sind und die hermetisch abgeriegelt ist. Wir können nicht mit dem eigenen Auto hineinfahren, sondern müssen nach dem Passieren eines Securitychecks einen überteuerten Shuttleservice nehmen, um zur indischen Botschaft zu kommen. Dort angekommen erklärt man uns, dass Visa hier nur noch in Notfällen direkt ausgestellt werden. Wir müssen es über eine Agentur in der Stadt beantragen. Der Weg hierher war also umsonst.

 

Wir klappern drei Agenturen in der Stadt ab, um dann bei einer professionellen und recht günstigen Agentur zu landen. Das Visum für Indien kostet 70 Euro und die Agenturgebühr 7 Euro pro Nase. Also alles im Rahmen. Wir beantragen mit unserem Zweitpass ein 6-Monats-Visum, da unser erster Pass ja beim Büro für eine Visaverlängerung für Pakistan liegt, legen ein nettes Begleitschreiben mit Foto dem Antrag bei und müssen acht Tage auf die Ausstellung warten.

 

Da Saif nun lange genug unser Hand gehalten hat und er Sehnsucht nach seinen vier Kindern hat, bringen wir ihn am Abend zum Busbahnhof und verabschieden uns voneinander. Eine lustige und unkomplizierte gemeinsame Zeit liegt hinter uns. Und dennoch sind wir froh unsere 4m² wieder nur für uns zu haben. Allah Hafiz Oscho & see you soon again!

 

Wir fahren weiter in die Zwillingsstadt von Islamabad nach Rawalpindi. Wir überraschen unseren Freund Moqeem, der mit uns 2010 und 2011 in unzähligen Stunden unter unserem VW-Bus gelegen hat. In all den Jahren haben wir Kontakt gehalten, uns ab und zu gegenseitig ein Kärtchen geschickt und nun sind wir wieder da. Die Freude ist riesig und so fallen wir uns lachend in die Arme. Manche Freundschaften brauchen keine räumliche, sondern nur eine mentale Nähe. Und so ist es mit Moqeem.

 

Sein Geschäft hat sich dem Markt angepasst. Er verkauft nur noch wenige VW-Ersatzteile, dafür hat er sich auf die Fertigung von Autoersatzschlüsseln spezialisiert. Er kann jeden noch so kniffeligen Schlüssel, sogar von modernen Autos mit Transponder, nachmachen. So ist es nicht verwunderlich, dass er gleich am ersten Tag uns ein Paar Ersatzschlüssel für unseren Silvester überreicht. Shukriya, Moqeem bhai ! 

 

Wir verbringen nun fast jeden Tag bei Moqeem. Sitzen in seinem Geschäft, treffen viele Freunde von unserem letzten Aufenthalt. Alle wollen sie uns sehen und Zeit mit uns verbringen. An keinem anderem Platz in Asien haben wir so viele Freunde wie in Islamabad / Rawalpindi. Und selbst in den Straßen kennen wir uns bei weitem besser aus als in Berlin, München oder Frankfurt. Islamabad ist unsere Stadt.

 

Nach acht Tagen schauen wir wieder beim Directorate of Immigration & Passport vorbei. Wir erhalten unsere Pässe zurück und kontrollieren erst mal die Arbeit der Mitarbeiter. Ein neuer Visaaufkleber ziert eine neue Seite in unserem Pass – mit einer Visadauer für sechs Monate. Wir fragen noch einmal nach, ob wir jetzt wirklich nach Indien ausreisen können, um im kommenden Jahr mit dem selben Visum wieder einzureisen. Die Frau schaut uns mit großen Augen an: Nein, aber wir können nun bis März hier bleiben. WAS??? Wir wollen sofort mit dem Vorgesetzten sprechen und sitzen wenige Minuten später beim Abteilungsleiter im Büro. Er erklärt uns, dass wir nun ein neues Visum erhalten haben, mit dem wir weitere 150 Tage im Land bleiben können. Unser Visum aus Frankfurt mit „Double Entry“ ist nun storniert und ungültig. WAS??? Wir können es einfach nicht glauben, dass wir acht Tage auf etwas gewartet haben, das wir nicht haben wollten. Anstatt die Gültigkeit zu verlängern, haben sie unseren Aufenthalt verlängert. Die Situation ist daher ungünstiger als zuvor. Der Abteilungsleiter schickt uns zum Innenministerium. Dort können sie uns eventuell helfen.

 

Also statten wir am nächsten Morgen dem Innenministerium einen Besuch ab. Um erst einmal die richtige Stelle und richtige Person zu finden, die für unser Anliegen zuständig ist, brauchen wir schon eine Ewigkeit. Wir finden das Büro für spezielle Visaangelegenheiten und werden von den dort überall wahllos herumliegenden Akten erschlagen. Ein Saustall ist das hier. Überall Visaanträge von UN- und Botschaftsmitarbeitern. Ein Gewusel an Menschen, die sich auf den letzten verbleibenden und nicht von Akten bedeckten Flächen bewegen. Wir tragen unseren Fall vor und sollen am Montag mit einem Sponsor wieder kommen, der sich verpflichtet für uns finanziell verantwortlich zu sein.

Wir fahren zurück zu unserem Parkplatz im Jasmin Garden, wo wir jeden Abend zum Nächtigen hinfahren und überlegen noch ein wenig hin & her. Ursel die seit ein paar Tagen Halsschmerzen hat, geht es plötzlich immer schlechter. Fieber, Schlappheit, Schluckbeschwerden. Nach einer schlaflosen Nacht kann Ursel nicht mehr Sprechen, Wasser und selbst der eigene Speichel können nicht mehr geschluckt werden. Da das Fieber weiterhin steigt, ist klar: wir müssen zum Arzt. In Pakistan gibt es keine Arztpraxen wie in Deutschland, sondern man fährt direkt in ein Krankenhaus, um behandelt zu werden. Wir fahren also am frühen Morgen in das nächstbeste Krankenhaus – was wir nicht wissen: wir haben uns das teuerste und beste Krankenhaus der Stadt rausgesucht.

 

In der HNO-Abteilung müssen wir zunächst die Arztrechnung bezahlen, bevor Ursel überhaupt untersucht wird. Wir warten eine halbe Stunde und werden dann in ein modernes, sauberes Behandlungszimmer geführt. Der Arzt spricht super englisch und stellt fest, dass Ursel eine schwere Entzündung im Hals hat. Nur selten sieht er solch starke Infektionen. Da Ursel keine Tabletten schlucken kann, wird sie stationär untergebracht und an den Infusionsbeutel gehängt. Wir nehmen das billigste Zimmer, das 80 Euro für ein Zweibettzimmer pro Tag kostet – ohne Arzt und Medikamente. Ein Haufen Geld in Pakistan. Da sich um Ursels Zimmernachbarin die gesamte Familie versammelt hat, ständig irgend ein Telefon derer klingelt und der Fernseher unbeachtet nebenbei Bilder der Kaaba aus Mekka ausstrahlt, reicht es den Ärzten irgendwann. Die Ausländerin braucht doch ihre Ruhe und so wird kurzerhand die Frau in ein anderes Zimmer verlegt. Endlich Ruhe und ein Einzelzimmer. Das Krankenhaus ist wirklich ein Glücksgriff: dreimal am Tag wird geputzt, die Krankenschwestern sind ständig zur Stelle und der behandelnde Arzt hat in Schottland zehn Jahre als Arzt gearbeitet und ist erst vor wenigen Wochen zurück nach Pakistan gekommen.

 

Janus fährt unterdessen ohne Ursel zum Termin im Innenministerium. Wir haben zahlreiche Freunde in Islamabad und so ist es nicht schwer einen Sponsor für uns zu finden. Nasir, der Präsident des Volkswagen Clubs erklärt sich bereit uns zu helfen. Janus und er fahren in seinem restaurierten VW T2 gemeinsam zum Innenministerium und werden nach zwei Stunden Warterei wieder weggeschickt. Beim Gericht sollen sie sich zunächst eine offizielle Bestätigung der Sponsorschaft einholen und dann wieder zurück kommen. Dies dauert dann fast den gesamten Tag und als Nasir und Janus wieder zurück im Innenministerium sind, werden sie erneut weggeschickt. Heute wird nicht mehr gearbeitet und wir sollen morgen wieder kommen.

 

Über 30 Infusionsbeutel unterschiedlicher Größe und vier Tage später kann Ursel wieder Suppe, Joghurt und Pudding schlucken und wird entlassen. Wir fahren daher gemeinsam zum Innenministerium, um die Angelegenheit nun endlich zu klären. Diesmal haben einige Mitarbeiter Zeit, diskutieren unseren Fall hin & her. Wir haben das Gefühl, dass hier keiner wirklich Bescheid weiß und die Dinge so gedreht werden wie man will. Am Ende wird uns gesagt, dass unser alter & neuer Visaaufkleber in Kombination gelten und wir damit bis Mitte März wieder einreisen können. Der gestrige Weg zum Gericht und der ganze Ärger war also für umsonst. Es ist zum Haare raufen und wir glauben, den Mitarbeitern kein Wort. Wir werden uns bei Ausreise an der Grenze noch einmal informieren müssen und im Notfall zu Hause eine neues Visum machen lassen.

 

Wir fahren wieder zurück zu unserem Parkplatz im Jasmin Garden, als das Telefon klingelt. Es ist die indische Botschaft: es gibt Probleme mit unserem Visum und wir sollen morgen früh in die Botschaft zum Interview erscheinen.

 

Wir fühlen uns langsam vom schlechten Karma verfolgt. Haben wir eine Pechsträhne? Oder sind wir einfach zu verwöhnt, dass alles immer auf Anhieb klappt? Wir reißen uns zusammen und wollen nochmal die Zähne zusammen beißen. So einfach geben wir uns nicht geschlagen und werden um unser Indien Visum kämpfen !

 

Am nächsten Morgen fahren wir mal wieder mit dem Shuttleservice zur indischen Botschaft in die „Diplomatic Enclave“. Diesmal mit sauberen Klamotten und ohne Ölflecken oder Löcher wollen wir einen guten Eindruck machen. Wir werden höflich empfangen und in einem Konferenzzimmer mit Sofas geleitet. Wenige Minuten später erscheint der stellvertretende Abteilungsleiter für Visa und hat unsere Anträge unterm Arm. Er will genau wissen wer wir sind, was wir in Pakistan machen, ob wir Probleme mit Terrorismus erlebt haben, was wir in Indien alles sehen wollen, wie wir zu Hause unser Geld verdienen und und und. 30 Minuten später sagt er, dass es in Islamabad keine 6-Monats-Visa gibt. Er kann uns eigentlich nur 3 Monate geben, aber wir erhalten ausnahmsweise unser gewünschtes Visa mit 180 Tagen. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Endlich klappt mal wieder was, so wie wir das wollen.